Von Musikinstrumenten und Schnittstellen Beardytron 5000

Kultur

Darren Foreman, aka Beardyman, ist zunächst als Beatboxer aufgetreten. In der Tat war er 2006 und 2007 Beatboxing Champion von Grossbritannien. Er ist einer der besten Beatboxer der Welt.

Beardyman bei einem Live-Auftritt am Cruïlla Festival in Barcelona.
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Beardyman bei einem Live-Auftritt am Cruïlla Festival in Barcelona. Foto: Ferran (CC BY 2.0 cropped)

23. September 2014
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Man muss seine Musik nicht mögen. Um sie zu mögen braucht man immerhin eine erhebliche Affinität zu elektronischer Musik. Denn trotz der enormen Fortschritte, die er erreicht hat, steht die Entwicklung noch ziemlich am Anfang. Aber diese Fortschritte machen Beardyman zu einem der wichtigsten Musiker unserer Zeit. Er ist offensichtlich besessen und hat mit seiner Besessenheit einen musikalischen Quantensprung gemacht, der Musik für sehr lange Zeit prägen wird.

Unsere Schlagzeugerin will uns verlassen. Sie zieht leider weg. Da brachte unser Gitarrist die Idee auf, das Schlagzeug mit Technik zu ersetzen. Da ich der Technik-Nerd in der Band bin, sollte ich mich mal umsehen, was da so geht und was man letztendlich anschaffen müsste. Einen Bass haben wir übrigens auch nicht, das macht unser Keyboarder mit der linken Hand. Also habe ich geforscht, wie man beides mit einer Lösung erschlagen könnte.

State of the Art

Es gibt zwei technische Ansätze für so etwas. Das erste ist der Looper/die Loop-Engine. Damit nimmt an eine kurze musikalische Phrase auf – ein Bass-Riff, ein Schlagzeug-Pattern – und der Looper spielt sie dann immer im Kreis. Musiker machen meist auch nichts anderes, als eine Phrase (oft mit kleinen Variationen) immer im Kreis zu spielen, wenn sie nicht gerade ein Solo spielen.

Looper können live eingesetzt werden. Man muss nur einen Knopf (oft ein Fusspedal) betätigen und die Aufnahme startet und nimmt z.B. automatisch die nächsten 4 Takte auf. Danach kann man die nächste “Schicht” Musik in den nächsten 4 Takten auftragen. So lassen sich mit einem Livelooper faszinierende komplexe Kompositionen live erzeugen und es gibt zahlreiche Musiker, die das tun. Doch mit mehreren Musikern mit mehreren Loopern zu arbeiten ist problematisch, da sich das Tempo mehrerer Looper nicht immer synchronisieren lässt.

Der zweite technische Ansatz ist der Sequenzer. Damit kann man Sequenzen von Tönen erzeugen. Mit solchen Teilen können komplette Orchester-Stücke für Filmmusik erstellt werden oder auch Schlagzeugmuster. Ein orchestrales Arrangement zu erzeugen bedeutet zunächst, den kompletten Satz (die Noten) für dreissig (oder so) Stimmen des Orchesters einzugeben. Dazu kann man ein Keyboard verwenden, was den Vorgang erheblich beschleunigt, aber man muss jede Spur (jede einzelne Stimme des Orchesters) einzeln eingeben und nachher noch die Mischung und Dynamik mühselig einstellen. Live geht da nichts.

Beat It

Aber ein Schlagzeug besteht nur aus einer sehr begrenzten Zahl einzelner Noten (jede Trommel ist quasi eine eigene Note) mit einer fixen Länge. So etwas kann man durchaus live sequenzieren. Dazu gibt es wieder zwei Ansätze. Der erste teilt eine Phrase in separate (meist 16) Segmente auf. Der Musiker gibt live ein ob und auf welchem der 16 Segmente welcher Ton erzeugt werden soll. Diese Technik wird meist von Beatprogrammierern in der elektronischen Musik eingesetzt.

Diese Technik erlaubt es, sehr schnell Beats zu erzeugen, die kein menschlicher Schlagzeuger spielen könnte, weil sie zu schnell und komplex sind. Doch die Arbeitsweise hat kaum etwas mit der Arbeitsweise klassischen Musizierens zu tun. Es ist eher ein sehr schneller Programmiervorgang.

Die andere Möglichkeit zur Erzeugung von Rhythmen ist, sie so einzugeben, wie es ein Schlagzeuger tun würde. Es gibt elektronische Schlagzeuge mit denen das auf klassische Weise möglich ist. Solche Schlagzeuge wurden auf die Grösse einer Handfläche verkleinert, so dass man komplette Schlagzeugsätze mit den fünf Fingern einer Hand einspielen kann. Diese “Schlagzeuge” bestehen meist aus c.a. 16 anschlag-dynamischen “Pads” die dann auch für die Eingabe nach dem ersten Ansatz, der Step-Sequencer-Programmierung, verwendet werden können.

Die auf die eine oder andere Art erzeugten Schlagzeugmuster werden dann wieder geloopt (im Kreis gespielt) und es können in mehreren Schichten übereinander aufgetragen werden. Man erkennt schon eine Verwandtschaft zum Live-Looping-Ansatz.

The Sound of Sound

Auf die eben beschriebene Art legt man die Reihenfolge der Töne fest. Doch welche Töne da gespielt werden, ist wieder eine andere Frage. Meist kann man die Töne aus einem riesigen Arsenal von Schlagzeug-Sets (auch elektronischen) auswählen oder direkt mit eingebauten oder angeschlossenen Synthesizern erzeugen. Die Töne kann man oft beliebig kombinieren und wieder mit komplexen Filtern verfremden und bearbeiten. Es gibt eine Reihe von Produkten, mit denen sich auch live einigermassen so arbeiten lässt.

Im Prinzip könnte man die Töne und Phrasen auch live aufnehmen (also samplen) und dann auf die beschriebene Art neu sequenzieren und verfremden. Das geht auch, doch dazu sind die technischen Möglichkeiten heute sehr begrenzt, einfach weil es bisher keine Produkte gibt, die das so erlauben, dass man es live gut einsetzen könnte.

Ich habe genau nach so einer Technik gesucht. Denn damit wäre man nicht auf rein elektronische Musik begrenzt. Damit könnten wir Basslinien mit Keys oder Gitarre einspielen und diese dann loopen, so dass die beiden Instrumente sich auf anderes konzentrieren können. Ich will Anschlag-dynamische Trigger-Pads um Rhythmen aus “natürliche musikalische” Art spielen zu können anstatt einen Step-Sequencer zu programmieren. Ich will einzelne Stimmen und Phrasen jederzeit zu- und weg-schalten um das Arrangement live an die das Stück anzupassen, an Strophe, Refrain, Bridge. Und ich will schnell den Sound verändern können. All das geht. Aber nicht in Kombination und nicht so einfach live.

Geht nicht? Geht doch!

Darren Foreman, aka Beardyman, ist zunächst als Beatboxer aufgetreten. In der Tat war er 2006 und 2007 Beatboxing Champion von Grossbritannien. Er ist einer der besten Beatboxer der Welt. Das heisst, er erzeugt Rhythmen und mehr nur mit Hilfe seines Körpers – vor allen dem Mund – einem Mikrofon und den Händen, mit denen er um Mund und Mikro einen Resonanzraum schafft, der den Ton beeinflusst, formt. Und singen kann er auch.

Damit verfügt Beardyman schon nackt über ungewöhnliche Tonerzeugungs-Möglichkeiten. Doch nackt ist nicht sein Ding. Er hat versucht, mit Technik von der Stange so etwas zu erreichen, wie ich oben beschrieben habe.

Doch das genügte ihm nicht. Also hat er sich daran gemacht, das, was er wollte, selbst zu entwickeln. Er hat sich mit Programmierern zusammengetan um ein System zu entwickeln, das seinen Ansprüchen genügt. Die Geschichte dieser Entwicklung ist hier nachzulesen. Und er hat es geschafft.

Tron?

Mit seiner Erfindung, der Beardytron 5000 sind seine Auftritte nach heutigen Massstäben unfassbar. Er kommt ohne vorbereitetes Material (ohne fertige Basslinien, Beats, oder auch nur Sounds) auf die Bühne. Er singt und Beatboxt, loopt seine Livesamples, und dreht alles durch die digitale Mangel bis geniale elektronische Sound-Wände den staunenden Höher umgeben und mit reissen. Beardyman erschafft ganz alleine auf der Bühne live neue Stücke nach vorgaben des Publikums und es klingt als hätte eine Armada von Produzenten wochenlang mit einer Band gearbeitet um diese Soundskulpturen aus den Computern zu meisseln.

Wie gesagt: man muss seine Musik nicht mögen. Epochal ist sie dennoch. Aber das epochale ist nicht die Musik selbst sondern ihr Entstehungsprozess. Erst seit den 90er Jahren des 20sten Jahrhunderts sind die Möglichkeiten der Musik unbegrenzt. Seitdem lassen sich mit Computer-Hilfe absolut beliebige Töne erzeugen und beliebig kombinieren. Vorher war die Tonqualität, der Sound, durch die Tonerzeugungs-Technik (z.B. die bekannten Musikinstrumente) begrenzt und die Tonkombination durch die begrenzten Fähigkeiten von menschlichen Musikern. Doch Computer können alle physikalisch überhaupt möglichen Sounds erzeugen und sie beliebig Kombinieren.

Von Musikinstrumenten, Schnittstellen

Aber die Nutzung dieser unbegrenzten Möglichkeiten hatte praktisch nichts mit dem zu tun, was Musiker sich klassischer Weise als Musik machen vorstellen. Die Nutzung dieser Möglichkeiten bedeutete eine Form von Programmierung durchzuführen.

Die Beardytron 5000 ist der Durchbruch auf diesem Gebiet. Sie ist das erste Musikinstrument, das es dem Musiker erlaubt, einen wichtigen Teil der endlosen Möglichkeiten moderner Tonerzeugung live zu nutzen. Viele Arbeitsabläufe an der Beardytron 5000 haben sogar einen ausgesprochen musikalischen statt eines programmierenden Charakters.

Dennoch ist die Beardytron 5000 erst der Anfang. Ihre Bedienung scheint noch sehr komplex zu sein und die Nutzerschnittstellen sind noch sehr primitiv. Musiker erzielen subtile Effekte mit winzigen Bewegungen ihrer Finger, Lippen, Zungen, ihres Zwerchfells und so weiter. Die Beardytron 5000 ist ein Keyboard, eine Gruppe von anschlag-dynamischen Trigger-Pads, drei IPads auf denen man rumwischt und einige weitere Dreh- und andere Knöpfe. Die Virtuosität, die Beardyman darauf zeigt, ist atemberaubend. Aber da geht noch was. Und Subtilität ist nicht gerade eine hervorstechendes Merkmal von Beardymans Musik.

Ironie der Geschichte

Und dann stellt die Beardytron 5000 aus europäischer Sicht noch eine besondere Ironie der Musikgeschichte dar. Das hervorstechende Merkmal europäischer Musik ist die harmonische Komplexität. In der Melodik waren arabische und indische Musik der europäischen schon immer voraus. In der Rhythmik war afrikanische und südamerikanische Musik Spitze. Nur in der Harmonie, dem Vielklang unterschiedlicher Noten, tat sich das alte Europa hervor.

Die Beardytron 5000 scheint keine harmonische Progression zu erlauben, zumindest kommt sie in Beardymans Musik nicht hörbar vor. Die harmonische Progression ist der Wechsel unterschiedlicher Vielklänge und essentiell z.B. für klassische (europäische) Musik und Jazz. Auch Pop-Musik kommt seltenst ohne aus. Dass die harmonische Progression in der Beardytron 5000 fehlt ist verständlich, handelt es sich doch um ein mathematisch sehr komplexes Thema, das hohe Anforderungen an die computerisierte Tonverarbeitung und die Benutzerschnittstellen stellt.

Doch besondere Leistungen vollbringt die Beardytron 5000 bei der Soundmanipulation. Sound ist die jüngste Dimension musikalische Schaffens. Erst seit c.a. den 70er Jahren des 20sten Jahrhunderts können Musiker über die Auswahl der Instrumente und subtile Effekte hinaus überhaupt signifikanten Einfluss auf den Sound nehmen. Und Beardyman meisselt den Sound live scheinbar wie er will und das in Bruchteilen von Sekunden.

Auf zu neuen Ufern

Beardyman ist ein epochaler Durchbruch gelungen. Und nur dank seines musikalischen Genies kann er diesen Durchbruch auch demonstrieren indem er alleine live komplexe Sound-Kunstwerke erschafft. Er stösst damit eine Tür auf, durch die ihm bald Musiker aller Genres folgen werden. Denn das Instrument, das er erschaffen hat, ist nicht auf die Erzeugung elektronischer Musik begrenzt.

Es spricht nichts dagegen, Geigen, Gitarren oder Glockenspiele live zu samplen, zu loopen und neu zu sequenzieren. Es spricht nichts dagegen, mit einem Trio komplexe Orchester-Werke live zu erschaffen. Es ist vorstellbar, dass Musiker sich völlig neu aufteilen. Einer macht Rhythmen, einer Harmonien, einer Melodien und einer Gefühle. Das war bisher auch schon ein Stück weit so, aber die Technik lässt völlig neue, willkürliche Aufteilungen zu.

Und die Nutzerschnittstellen werden alle möglichen Muskeln nutzen. Vielleicht wird es Virtuosen geben, die nur mit Bauch- und Brustmuskeln anrührende Streichquartette darbieten. Doch sicher wird es “Instrumente” geben, die mit Lunge, Lippen, Zunge, Händen und/oder Füssen bedient werden, die aber beliebige Klänge erzeugen. Die Zukunft des Musizierens hat begonnen.

Ach ja, unsere Kultur wäre nicht unsere Kultur, wenn wir solch epochale Durchbrüche nicht nach Kräften zur besseren wirtschaftlichen Ausbeutung bremsen würden. Beardyman hat Angst, dass ihm seine Erfindung “gestohlen” wird, weshalb er maximale Geheimniskrämerei darum betreibt.

Schrotie