Warum wir unser Land nicht lieben K(l)assensturz: Die Schweiz im Härtetest!

Gesellschaft

Am Nationalfeiertag wird die Schweiz unhinterfragt gefeiert – unabhängig davon, was man gerade von ihr hat. Doch wenigstens einmal im Jahr wäre es angebracht, nicht nur die Versicherung, sondern auch die eigene Nation auf den Prüfstand zu stellen.

Augustinergasse im Lindenhofquartier, Zürich.
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Augustinergasse im Lindenhofquartier, Zürich. Foto: Roland zh (CC BY-SA 3.0 cropped)

9. Juli 2015
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Was gibt es eigentlich am 1. August zu feiern? Was bringt uns die Nation? Viele Schweizer*innen verbinden mit „ihrer“ Nation den hohen Wohlstand. Also schauen wir uns das an: Was haben wir in diesem Jahr überhaupt von unserem. Kein Mensch denkt bei Wohlstand bloss an die nötigen Dinge für ein gutes Leben. Niemand meint, im Jahr 2015 gäbe es zu wenig Milch, Autos oder Computer. Im Gegenteil: Die meisten Güter werden sogar im Übermass produziert. Viele Schweizer Güter werden nur noch für den Export hergestellt. Es gibt mittlerweile sogar zu viele Güter auf dem Weltmarkt. Es herrscht ein allgemeiner Verdrängungswettbewerb. Es geht darum, besser als die anderen zu verkaufen. Und ausgerechnet weil es zu viele Güter gibt, müssen sich die Schweizer*innen Sorgen machen:

„Die Anderen können jetzt besser verkaufen, und nehmen uns die Arbeit weg“. Na und?

Wenn die ausländischen Produzent*innen unbedingt arbeiten wollen, dann sollen die das doch machen! – Und wir hätten mehr Freizeit. Aber im Kapitalismus ist es schlimm, wenn die anderen die Arbeit machen! Ausgerechnet die Mühe beim Produzieren lässt man sich nicht gerne wegnehmen. Ausgerechnet die Anstrengung, zu arbeiten, will man möglichst selber haben. Und die anderen sollen arbeitslos werden! Denn auch im Schweizer Kapitalismus geht es nicht darum, die Arbeit so aufzuteilen, dass alle für möglichst wenig Arbeit möglichst viele Konsumgüter haben. Es gibt nicht zu wenige Konsumgüter, sondern die Wirtschaft muss immer mehr Geld verdienen. Dafür wird extra zu viel produziert, damit man mehr Geld gegen das Ausland verdienen kann.

Und das geht für die Schweiz bei dem Frankenkurs jetzt nicht mehr so gut. Seitdem die Nationalbank den Mindestkurs für den Franken aufgegeben hat, kann die Schweizer Exportwirtschaft weniger gut verkaufen. Der Frankenschock sitzt tief und es wird allgemein von weniger Wachstum und somit Wohlstand für die Schweizer*innen ausgegangen. Zum Beispiel: „Auch die Pharma-, Chemie- und Nahrungsmittelindustrie, sonst verlässliche Wachstumstreiber, müssen derzeit mit Exporteinbrüchen umgehen … Auf Grund der jüngsten KOF-Prognose [gibt es] bis Ende Jahr 40.000 weniger Stellen, als mit dem Mindestkurs zu erwarten wären.“ (Bund, 15.06.2015) Trotzdem muss das kapitalistische Geldwachstum weitergehen. Es darf nicht ein bisschen weniger wachsen, und wir machen einfach mal mehr Urlaub. Jede*r weiss, weil alles von diesem Wachstum abhängt (Arbeitsplätze, AHV), braucht es das auch. Aber nur weil alles von Wachstum abhängig ist, ist das noch keine gute Sache. Alle fragen immer nur, wie man dieses Wachstum erhöhen kann. Und wenn man so fragt, dann wird es notgedrungen zu einer Klassenfrage – in unserer schönen Schweiz.

Das Geldwachstum ist eine Klassenfrage!

Denn wenn das Geldwachstum steigen muss, dann müssen die grossen Geldbesitzer*innen (Investorinnen, Kapitalbesitzer) eben mehr Gewinne machen. Denen darf man das Geld, d.h. die Investitionsmittel als Wachstumsmotor, nicht wegnehmen. Also sind vor allem die Lohnabhängigen zu teuer, bzw. die müssen mehr arbeiten und produktiver werden. Im Grunde wird so gesagt: Damit es uns weiterhin gut geht, muss es uns bzw. den Lohnabhängigen erst einmal schlechter gehen. Damit das Wachstum weitergeht, soll die Wirtschaft ihre üblichen Methoden nutzen, die Lohnkosten zu senken. Gesagt, getan: Die Unternehmen kürzen erstens direkt die Löhne (z.B. durch €-Löhne für Grenzgänger*innen). Sie verlangen zweitens unbezahlte Überstunden. Und sie steigern drittens die Produktivität der Arbeit. Insgesamt geht damit auch in der Schweiz die Schere zwischen Arm und Reich weiter auseinander.

Warum macht die Produktivitätssteigerung die Angestellten ärmer?

Diese Schere geht in der Schweiz vor allem durch die Produktivitätssteigerung auseinander. In Branchen übrigens, in denen die Produktivität der Arbeit nicht so gut gesteigert werden kann, wird die Arbeit durch so genannte „Restrukturierungsmassnahmen“ unmittelbar verdichtet. Zum Beispiel bei den Banken; mit dem Resultat: „Fast jeder zweite Banker befürchtet ein Burn-out.“ (20 Minuten, 16.06.2015) , In anderen Betrieben wird die Produktivität, so gut es geht, erhöht; vor allem durch die Automatisierung in der Produktion . Die Arbeiter*innen arbeiten also an besseren Maschinen oder Computern, sodass sie mehr Produkte in der gleichen Zeit herstellen. Zum Beispiel der Baukran: Früher einmal mussten vielleicht zwanzig Bauarbeiter*innen die Steine für eine Hauswand hoch schleppen.

Heute reichen ein*e Kranführer*in und zwei Leute.
Mit einer modernen Automatisierung kann das Unternehmen jetzt mehr Produkte verkaufen. Es hat mehr Gewinn, wenn die Löhne ungefähr gleich bleiben. Die Löhne können dabei sogar etwas steigen. Die Angestellten wiederum stellen jetzt viel mehr Waren her, die ihnen nicht gehören. D.h. der produzierte Reichtum steigt, aber die Teilhabe der Arbeiter*innen ist nur so hoch, wie sie weiterhin Lohn bekommen.
Zurück zum Beispiel: Der/die Kranführer*in wird sicherlich nicht so viel verdienen wie die zwanzig Bauarbeiter*innen, die damals die Steine geschleppt haben. Sonst hätte das Bauunternehmen nicht den Baukran angeschafft. Und die ehemaligen Angestellten drängen sich irgendwo anders auf den Arbeitsmarkt oder sind einfach arbeitslos.

“Aber senken die Unternehmen dann nicht auch die Preise, so dass sich alle wieder mehr leisten können?”

Es kommt drauf an. Das machen die Unternehmen nur, wenn sie damit andere Unternehmen im Preis unterbieten können, und damit Marktanteile der anderen Unternehmen erobern können. Dass also die Konsument*innen neu beim billigeren Unternehmen einkaufen. Die Folge davon ist, dass bei den anderen Unternehmen, die nicht mehr so gut verkaufen können, mehr Arbeit überflüssig wird, und weniger Lohn gezahlt werden kann, oder es werden sogar Arbeiter*innen entlassen. Unterm Strich sinkt also die Kaufkraft der Lohnabhängigen. Damit sinkt ihre Teilhabe am gesellschaftlich produzierten Reichtum, während insgesamt die Unternehmen mehr Gewinne machen.

Welche Folgen hat das für die Angestellten in der Schweiz?

Hier ist die Arbeitslosigkeit noch recht niedrig, und man verdient noch ganz gut. Aber trotzdem ist das nicht mit einem angenehmen Arbeitsleben zu verwechseln, da die Arbeitszeiten hier sehr hoch sind – obwohl die Arbeit enorm produktiv ist. Laut SECO liegt die durchschnittliche Wochenarbeitszeit in der Schweiz bei 43,9 Stunden, und damit im europäischen Vergleich weit oben (vgl. SECO, 2005)

Allgemein liegt das daran: Auch wenn die Arbeit produktiver wird, wird die Arbeitszeit im Kapitalismus meistens eher verlängert. Die Unternehmen wollen ja auch nicht Arbeit einsparen sondern nur „Lohnstückkosten“. Und wenn die Arbeit pro Stück noch weniger kostet, weil die Arbeit für den Lohn verhältnismässig viel Produkte herstellt, dann lohnt es sich noch mehr, die Arbeiter*innen länger arbeiten zu lassen. Deswegen sinken auch in der Schweiz die Arbeitszeiten nicht. Insgesamt bekommen die Lohnabhängigen dann immer weniger vom gesellschaftlichen Reichtum ab, und müssen trotzdem insgesamt viel dafür arbeiten. Das ist relative Armut für die Schweizer Lohnabhängigen. , Und das Verhältnis zwischen Arm und Reich wird somit immer extremer. Denn je mehr Gewinne die Unternehmen machen, desto eher können sie neue Maschinen anschaffen, und noch mehr Lohnkosten einsparen.

„Unser Wohlstand“…

… ist sehr einseitig verteilt: Die Unternehmensgewinne müssen immer mehr wachsen; und das auf Kosten der Lohnabhängigen, die für ihren Wohlstand sehr viel arbeiten müssen – so lange sie das noch können.

Unser Wohlstand kommt vor allem zustande, wenn die Schweizer Wirtschaft weiterhin ausländische Betriebe unterbieten kann. So werden mit den niedrigen Lohnkosten für die Schweizer Belegschaften ausländische Arbeiter*innen ärmer und arbeitslos gemacht; und umgekehrt. Deswegen ist der Nationalismus der Arbeiter*innen weltweit selbstzerstörend. Als national-gesinnte Kampftruppe lassen sie sich gegeneinander ausspielen; und von einer Gewerkschaft vertreten, die jetzt z.B. einen Pakt mit den Arbeitgeber*innen gegen das Ausland sucht. Aber nur ein internationaler Zusammenschluss der Arbeiter*innen-Klasse kann den Sachzwang des Geldwachstums überwinden.

Nur zusammen können wir für eine Bedarfswirtschaft einstehen, in der endlich die Arbeit den Wohlstand für die Arbeitenden schafft – und nicht für das nationale Geldwachstum; und die Produktivitätssteigerung endlich als Freizeit für alle verbucht wird. Also lasst es besser sein, diese Nation als eine Schicksalsgemeinschaft aller Schweizer*innen zu feiern. Tut euch lieber mit den in- und ausländischen Lohnabhängigen zusammen, die wirklich euer Schicksal als Kostenfaktor teilen.

überzeit