Über die Zufriedenheit im Hamsterrad Wir essen unsere Suppe nicht

Gesellschaft

«Du willst nicht aufessen? Denk doch an die Kinder in Afrika!» Hat jedeR mal gehört. Und weiss auch mittlerweile, dass niemandem dadurch geholfen ist, dass man den Spinat aufisst.

Wir essen unsere Suppe nicht.
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Wir essen unsere Suppe nicht. Foto: Helsinki Art Museum, The Broad (CC BY-SA 4.0 cropped)

18. Oktober 2017
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Aber die Logik, die hinter dieser Ermahnung steht, kennt man: Eigentlich geht es eineR doch gut, man hat ausreichend zu essen, ein Dach über dem Kopf – anderen geht es schlechter, also soll man sich nicht beschweren, man hat ja nur Luxusprobleme.

Diese Idee funktioniert in zwei Richtungen: Einerseits fühlt man sich vielleicht wirklich weniger schlecht, wenn man darüber nachdenkt, dass Menschen anderswo mit grösseren Problemen zu kämpfen haben. Insofern hat das Ganze eine Entlastungsfunktion. Also beisst man die Zähne zusammen und macht weiter wie gehabt. Andererseits – und das ist natürlich genau, was die Eltern im Sinn haben, wenn sie einem die hungernden Kinder in Afrika vorhalten – wird eineR auf diese Weise ein moralischer Vorwurf gemacht: «Du hast wirklich keinen legitimen Grund, dich zu beschweren! Sei zufrieden, mit dem, was du hast!»

Beschweren darf man sich angeblich nur, wenn es eineR wirklich ganz beschissen geht. Alles andere muss man ertragen und so bleibt alles, wie es ist. Mal ganz abgesehen davon, dass das auch ein ziemlich schräges, man könnte sogar sagen, koloniales, Bild von Afrika voraussetzt, denn auf dem Kontinent gibt es immerhin über 50 durchaus unterschiedliche Länder und ebenso arme wie reiche Menschen.

Doch diese Art zu denken – «Du darfst dich nur beschweren, wenn es wirklich fast niemandem schlechter geht» – ist in der Schweiz besonders verbreitet. Die Schweiz hat im internationalen Vergleich tatsächlich einen hohen Lebensstandard und hohe Löhne. Doch gleichzeitig haben die Menschen hier auch überdurchschnittlich viel Stress. Vielleicht steht also doch nicht alles zum Besten? Ist es wirklich erstrebenswert, dass man kaum noch ein Leben jenseits der Arbeit hat, so dass man ständig kurz vorm Burnout steht oder irgendwann krank wird?

Dass Arbeit hierzulande so ein enorm hoher Wert beigemessen wird, hat auch historische Gründe: Im Zuge der Reformation und der Verbreitung des Protestantismus hat sich in vielen Teilen Nordeuropas eine Auffassung durchgesetzt, dass Arbeit etwas Gutes ist – und nicht nur Mittel zum Zweck, etwa, um etwas herzustellen oder genug Geld zu verdienen, um seine Bedürfnisse zu befriedigen. Ursprünglich hat das Wort «Arbeit» einmal «Mühsal» oder «Plage» bedeutet.

Aber wer heute sagt, dass er Arbeit eine Zumutung findet, wird schräg angeschaut. Stattdessen erzählen einem Menschen mit einem gewissen Stolz davon, wie viel sie arbeiten oder wie überarbeitet sie sind. Man macht dann halt Yoga oder, wenn man sich das leisten kann, einen Wellness-Urlaub, um wieder fit fürs Weiterarbeiten zu sein. So wird man zu einem wertvollen, leistungsbereiten Mitglied der Gesellschaft.

Doch sind wir wirklich das, was wir arbeiten? Dürfen wir nur protestieren, wenn wir Löcher in der Kleidung haben? Und wer hat eigentlich festgelegt, dass wir unsere Ansprüche am Lebensniveau hungernder Kinder in den ärmsten Gegenden der Welt messen sollen und nicht etwa an dem der Menschen, die ein grosses Haus an der Goldküste bewohnen?

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