Über das Reich der Seelen und andere Organismen Vom Leben nach dem Tod

Gesellschaft

Mal angenommen, es gibt ein Leben nach dem Tod. Da ich aus jenem Bereich keine Informationen haben, muss ich vermuten. Treffe ich all jene wieder, die ich im Leben schon kannte?

Vom Leben nach dem Tod.
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Vom Leben nach dem Tod. Foto: Alex Proimos (CC BY 2.0 cropped)

24. Februar 2015
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Sowohl die, die vor mir starben, wie auch die, die mir folgen? Das stelle ich mir spannend vor. Mit denen, die ich vorher kannte, würde ich in alle Ewigkeit reden können. Darüber, wie wir uns missverstanden haben. Darüber, was wir richtig gemacht haben. Miteinander, gegeneinander, füreinander gegen andere und für andere. Und mit denen, die nach mir kommen, da hoch ins Reich der Seelen, na he! Das wird eine Party! Wenn die mir von Sachen erzählen, die mir zu Lebzeiten nicht mal im Traum erschienen waren!

Oder gerate ich in die gleichen Umstände, in die ich im Leben schon geraten war? In all die wunderbaren und scheusslichen Situationen, die ich durchgemacht habe, als ich lebte?

Das fände ich unerquicklich. So Wiederholung von dem Ganzen. Der Trost bei dieser Vorstellung: Es könnte ja nur eine Wiederholung des Lebens sein, das man geführt hat. Also zeitlich gesehen nur so von Geburt bis Tod. Der Schrecken dieser Vorstellung: Dass es in einer Endlosschleife abliefe. Immer und immer und immer wieder.

Oder gerate ich nach dem Tod in ein Terrain, in dem ich allein bin. Niemanden kenne ich, niemand kennt mich. Ich treffe auf welche, welche treffen auf mich; wir entscheiden schon nach einer Billionstel Sekunde, ob wir miteinander zu tun haben wollen oder nicht. Wäre dann auch – wie im Leben vor dem Tod? Nicht ganz. Im Leben kann davon Liebe, Geschäft, Geld, Freundschaft abhängen. Im Tod – glaube ich nicht. Es wäre, wenn es so kommt, auch wieder nur eine Wiederholung. Was es im Leben schon war und ist; und das noch einen Tod lang? Nichts für mich.

Oder ich werde nach dem Menschen-Tod zu einem neuen Organismus. Käfer, Pflanze, Rollkoffer. Himbeere, Fledermaus, Plastikflasche. Ich bin mir nicht sicher, ob Käfer, Pflanzen, Himbeeren und Fledermäuse damit einverstanden wären, wenn plötzlich da so gewesene Menschen auftauchten und behaupteten, sie seien wie sie. Selbst Plastikflaschen wehrten sich gegen die Anmassung der Menschen, so wie sie zu sein. Zu ihren Lebzeiten haben die Menschen es nicht getan. Zu ihren Lebzeiten waren die Menschen immer was Besseres. Haben sie jedenfalls behauptet. Behaupten sie, seit es sie gibt. Als würden sie niemals begreifen, dass ihre Existenz – reine Arroganz ist und sich auf nichts gründet als auf ihr todbringendes, alles verschlingendes Dasein. Ich glaube nicht, dass wir Menschen für einen Pilz bedeutsamer sind als der Pilz für uns. Oder Gelbbauchunken. Gelbbauchunken sind wirklich gefährdet.

Wiederum könnte es sein, dass Käfer, Pflanzen, Himbeeren, Fledermäuse und Plastikflaschen – transformierte Menschen sind. Obwohl, das schliesse ich aus. Käfer, Pflanzen und Fledermäuse, vermutlich auch Himbeeren, gab es lange, bevor es den Menschen gab. Die Erde war zunächst ein Gabentisch für allerlei Kroppzeug, bevor sie zur Tafel des Menschen wurde. Plastikflaschen sind da eindeutig die Verlierer der Evolution. Oder die Gewinner; ehe die vergehen, vergehen Menschen-Generationen. Und Rollkoffer? Ich habe mal einen Mann kennen gelernt, der sowohl an ein Leben nach dem Tod als auch an die Unsterblichkeit glaubte. *

Für ihn stand es Fiftyfifty. Zwar gab es niemanden, der nach dem Tode zurückgekehrt war um zu berichten wie es da war. Dorten da drüben. Es gab aber auch niemanden, der nach dem Tode zurückgekehrt war und gesagt hat: Da ist nichts. Also es gibt niemanden, der zurückgekommen wäre und gesagt hätte: He, das ist Party ohne Ende; he, da ist nichts. Aus einer Party könnte man heimkehren, aus dem nichts, glaube ich, nicht. Es kann durchaus sein, dass es eine Informationsmauer gibt, die es nicht erlaubt, weder das eine noch das andere Wissen durchzulassen. Zu uns, zu den noch Lebenden.

Der Mann nahm das Problem der Unsterblichkeit bzw. des Lebens nach dem Tod (ist das eine das andere? weiss ich grad nicht) sehr ernst. Er forschte darüber. Er stellte Nahtod-Erfahrungen zusammen. Er wollte wissen, die der Übergang vonstatten geht. Ob es ihn gibt? Was wir dabei empfinden? Wie glücklich wir dabei sind, weil es hell wird am Ende dieses Tunnels? Und ob sich was hinüberretten lässt – aus dem Menschsein in das Anderssein als … Käfer, Fledermaus, Pflanze, Himbeere. (Plastikflasche? Rollkoffer?)

Es gibt diesen Sartre-Text (Titel weiss ich grad nicht), in dem jemand im Totenreich die Chance erhält, noch einmal auf die Erde zurückzukehren. (Verdammt, wie ging die Geschichte gleich noch mal?) Also die Figur, ich sage jetzt mal, dass ich die bin nach meinem Tode, kann noch mal eingreifen in die Verläufe … Nee, Quatsch doch, oder? Ein Quatsch ohne Ende.

Es gibt diesen Kafka-Text. Wo einer als Käfer aufwacht. Das finde ich näher dran. Witzig sowieso. Bei Kafka schmeisse ich mich weg vor Lachen. Lustiger ist nur Nietzsche.

Natürlich ist, „näher dran“ zu sein kein wirkliches Kriterium für die Wahrheit, gleich gar nicht für die Wahrheit, nach der ich suche: ob es nun eine Leben nach dem Tode geben könnte -, nun: An manchen, an den meisten, an jedem Morgen bin ich selbstverständlich lieber lebender Käfer als toter Mann. Da ich diese Alternative denken kann, bin ich noch am Leben. Als Mensch. Bekömmlich oder tröstlich ist das auch nicht. Denn was werde ich, wenn ich als Käfer tot bin? Etwa wieder ein Mensch?

Oder Material-Teilchen in einem Sessel unter dem Arsch irgendeines Präsidenten, Diktatoren, Autokraten? Was mir auch egal sein wird, Einfluss als Fussel habe ich nicht. Und wenn er dann kommt, der Typ mit der Sense, ist Sendeschluss. Ich möchte an dieser Stelle abbrechen und es belassen, wie es ist. (Fortsetzung folgt, falls ich nicht vorher sterbe)

* Der Mann lebt noch. Er ist etwas über sechzig Jahre alt. Er hat noch Zeit. Jemand erzählte mir neulich, dass er ihn traf. Beim Joggen im Wald.

Eckhard Mieder