Debatte über die Sterbehilfe Bis das der Tod dich dahinscheidet

Gesellschaft

19. November 2014

“Verschont den Tod!” heisst die aktuelle Kolumne von Jakob Augstein, dabei ist der Titel irreführend; hat Augstein doch gar nicht seine Liebe zum Sensenmann entdeckt, sondern viel mehr Angst um das Allerheiligste: “Der Tod auf Bestellung nimmt dem Leben die Würde”.

Club de Pescadores, Buenos Aires, Argentina.
Mehr Artikel
Mehr Artikel

Club de Pescadores, Buenos Aires, Argentina. Foto: Luis Argerich(CC BY 2.0 cropped)

19. November 2014
0
0
3 min.
Drucken
Korrektur
Diese Würde entdeckt er dann auch gleich in einer Haltung, die er auch bei den Gesunden inzwischen schmerzlich vermisst: “Demut”. Wer sein Leben schon nicht in der Hand hat, der soll gefälligst auch seinen Tod nicht selbst bestimmen – oder um es mit Augstein zu sagen: “Das Leben ist nicht beherrschbar, der Tod sollte es auch nicht sein.”

So ganz stimmt das natürlich nicht, nimmt sich der Staat doch durchaus heraus das Leben seiner Bürger mit dem einen oder anderen Recht und Gesetz zu reglementieren und auch den Wunsch von Sterbenskranken doch bitte in Ruhe verrecken zu können wird hier nicht zur Frage des Willens eines Patienten, sondern zu einer Frage der staatlichen Erlaubnis. Im Mittelalter kann Herr Augstein sogar noch etwas wie Herrschaft in der Frage nach dem Leben und dem Tod finden: “Im Mittelalter wurden die Leichen der Selbstmörder durch die Strassen geschleift und danach gehenkt. Kirche und Staat wollten nicht von ihren Subjekten lassen. Eine Frage der Herrschaft, der Kontrolle.”

Dann kommt das unvermeidliche Argument: “Die ausdrücklich geregelte Suizidhilfe durch Ärzte ist das Einfallstor für eine gefährliche Entwicklung: Sterbehilfe als übliche Behandlungsmethode.” 2001 war übrigens für die FAZ das Sterbehilfegesetz in Holland kein 'Einfallstor' sondern ein 'Dammbruch', was aber das gleiche meint: FAZ und SPON wissen eben sehr genau, dass es in dieser Gesellschaft eine Menge Interessen gibt, selbst und gerade den Todkranken noch ihren letzen Lebenshauch auszulöschen wollen, selbst wenn das nicht in deren eigenen Willen ist.

Natürlich zieht keiner der nun so betroffenen Moralisten daraus einmal den Schluss, an diesen Interessen etwas zu Ändern. Das unter (schwer)kranken Familienmitgliedern die ganze Sippe zu leiden hat, weil Pflege die letzten Freizeit- und Geldreserven frisst, ist immer vorausgesetzt in der bürgerlichen Gesellschaft und ist die Grundlage für den praktischen Zynismus des Jakob Augstein: “Wenn das Schule macht, wird die Frage “Wohin mit Oma?” bald einen anderen Tonfall bekommen.”

Das Oma eine Belastung für die Familie ist kommt eben aus der Logik, dass man in der wunderbaren Keimzelle der bürgerlichen Familie aufeinander zwangsverpflichtet wird; woher auch der eine oder andere Wunsch kommen kann, dass selbst die noch recht Lebensfrohe aber zeit- und finanzaufwändige Grossmutter lieber früher als später ins Gras beist. Weil aber niemand vor hat an dieser Rechnung etwas zu ändern wird lieber der Staat angehalten, seinen Mitgliedern das freiwillige Ausscheiden aus der bürgerlichen Gesellschaft zu verbieten. Weil der Moralist eines augsteinschen Schlages genau weiss, dass sich hier einige Interessen die Bahn schlagen, die gerne mal den Willen einer Person übergehen und ihn am liebsten in den letzten Willen überführen würden ist die Konsequenz klar: “Wer schützt Alte und Kranke vor dem äusseren – oder inneren – Druck, die anderen und sich selbst von der Last und den Lasten des eigenen Leids zu befreien?”

Hier will einer nicht dafür Sorgen, dass die Alten kein Armutsfaktor mehr für die eigenen Kinder sind, sondern ihnen den unlauteren Ausweg durch Selbstentsorgung verbieten. Ganz im Sinne der Demut wird das Leiden der Menschen an den Krankheiten und dem materiellen Elend nicht weggeschafft, sondern geadelt zum wichtigen Bestandteil menschlicher Existenz, zuletzt bezeugt durch das langsame verrecken des zuletzt dahingeschidenen Papstes: “Der geduldete Tod wurde zu einem Zeichen für die Würde des Lebens.”

Berthold Beimler

Alle Zitate aus: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/sterbehilfe-jakob-augstein-ueber-die-wuerde-des-tods-a-1002693.html