Über das NSU Polizei-Video Peepshow Zschäpe

Gesellschaft

Im November 2012 veröffentlichten der NDR und der Spiegel einen so genannten „Exklusiv-Filmclip“, der eine sich drehende Beate Zschäpe zeigt. Die Sequenz wird seitdem gern gezeigt, wenn von der „Nazibraut“ und ihren Mörder-Freunden berichtet wird.

Ort des NSU-Prozesses - Gebäude des Bayerischen Oberlandesgericht in München.
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Ort des NSU-Prozesses - Gebäude des Bayerischen Oberlandesgericht in München. Foto: Bubo (CC BY-SA 3.0 unported)

16. April 2013
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Die junge Frau trägt ein rosafarbenes, kurzärmeliges „Hilfiger“-T-Shirt, Jeans und Turnschuhe. Sie trägt keine Brille und offenes Haar. Da sie, sagen mir andere Fotos, Brillenträgerin ist, wirkt ihr Gesicht so hilflos und nackt wie es Gesichter tun, die an Brillen gewöhnt sind.

Ihre Ganzkörper-Wendungen machen einen tapsigen, flügellahmen Eindruck. Mal ist sie in voller Grösse zu sehen, mal als Brustbild. Sich so fotografieren zu lassen, macht ihr offensichtlich nicht nur überhaupt keinen Spass; sie lässt es widerwillig über sich ergehen. Der Mund ist ein grader, verkniffener Strich.

Ich nehme an, dieser Clip gehört heutzutage zu den üblichen Vernehmungs- und Identifizierungs-Ritualen der Polizei wie einst die Fotos en face und en profil von Delinquenten. Zu einem „Exklusiv-Video“ wird es durch die Verbreitung ausserhalb von Verhör-Stuben; zu einem „Exklusiv-Video“ wird es durch die Behauptung der Medien, die Bilder seien eben das. (Darf die Polizei solches Material herausgeben? Ich muss meinen Freund Tütenholz fragen, der sich gerade auf seinen Auftritt bei „Wer wird Millionär?“ vorbereit und sich mit allen ausdenkbaren Fragen des Lebens beschäftigt.)

Mich widert diese Zurschaustellung an.

Wäre ich ein Nerd, hätte ich Lust und Talent für Animationsfilmchen und verfügte ich über die nötigen technischen Kenntnisse und über die nötige Geilheit, damit weltweit Aufsehen zu erregen – ich zöge Zschäpe aus und machte aus dem Polizei-Auftritt das, was er meiner Ansicht nach durch die Verbreitung schon ist: eine Peepshow, an der sich all jene ergötzen können, die bei Begriffen wie „Rechtstaat“, „Freiheit“, „Würde des Menschen“ unter sich machen.

Und es würde ein Geschrei sein im Hafen! Und mit fünfzig Kanonen würde geschossen werden!

Soll das komisch sein? Oder originell? Oder Satire? Darf denn Satire alles? Die Würde des Menschen ist verletzt (sic!)!

Ob die mühevolle Ermittlungsarbeit der Ermittlungsbehörden etwa in Zweifel gestellt werden sollen? Ob darüber in Vergessenheit geraten soll, zu welchen Verbrechen die „Nazibraut“ und ihre Kumpane fähig waren? Ob die Öffentlichkeit etwa nicht das Recht habe, zu sehen, wie die aussehen, die Verbrecher? Gebt der Öffentlichkeit, wonach sie lechzt?

Dabei ist die Öffentlichkeit etwas, „das ich nicht gern zu Hause hätte, wäre sie ein menschliches Individuum“, zitierte vor einiger Zeit Freund Tütenholz jemanden, dessen Namen ihm entfallen war. „Sie ist faul, phlegmatisch, egozentrisch, treulos und selbstgefällig.“ Ich erwiderte und ergänzte: „Und Leuten, die mir sagen, was die Leute sehen und lesen und was sie nicht sehen und nicht lesen wollen -, denen höre ich seit dreissig Jahren schon nicht mehr zu.“

Mich widern die Verbrechen des Mundlos und Böhnhardt an. Mich widert die Kumpanei der Zschäpe an. Mich widert der Massenmörder Breivik an. Mich widert Hitler an …

Hoffnung macht nur, dass die Liste von Menschen, die mich anwidern, immerhin kürzer ist als die Liste der Meinungs-Durchstechereien im Dienste der Selbstgefälligkeit, die immer schon wusste und weiss, wer die Guten und Tapferen sind. Zu denen sie selbstverständlich gehören. Auf deren Seite sie stehen: niemals vor einer Polizei-Kamera, sondern immer jenseits der Glasscheibe, hinter der das Böse, Nackte, Monströse tanzt.

Eckhard Mieder