Über die Kehrseite der Windräder, Elektroautos und CO2-Kompensationen Das Märchen vom grünen Wachstum (Teil 2)

Gesellschaft

In Teil 1 dieser Analyse wurde aufgezeigt, warum die derzeitigen CO2-Märkte keine ausreichende Lösung für die Überwindung der Klima-Problematik sind. Doch nur zu sagen, nur der Markt wäre schuld, greift zu kurz. Denn allzu oft sind auch wir Konsumenten schuld, wenn wir denken, nachhaltig zu handeln, aber in Wahrheit das Klima immer stärker verschmutzen. Denn die grünen Technologien sind nur so wirksam wie wir es zulassen.

Das Märchen vom grünen Wachstum: Über die Kehrseite der Windräder und CO2-Kompensationen.
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Das Märchen vom grünen Wachstum: Über die Kehrseite der Windräder und CO2-Kompensationen. Foto: August Brill (CC BY 2.0 cropped)

28. September 2016
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Die Fürsprecher des grünen Wachstums fordern darüber hinaus technologische Innovationen, um die Effizienz von Produkten und Produktionsprozessen zu steigern, um also weniger Energie und Rohstoffe zu verbrauchen. Das klingt in der Theorie sehr schlüssig und einleuchtend. Doch im täglichen Leben spielt der Konsument nicht mit. Beispiel Elektrogeräte: Die heutigen Laptops verbrauchen zwar viel weniger Strom als die grossen Tower-PC der 90er und frühen 00er Jahre. Doch heute hat der Durchschnittshaushalt nicht mehr nur einen Computer, sondern gleich mehrere und dazu auch ein Smartphone und ein Tablet. In deutschen Wohn- und Arbeitszimmern stehen also viel mehr Elektroartikel als früher. Sie sind zwar für sich allein stromsparender als der alte PC von früher, verbrauchen zusammengenommen aber sowohl im Betrieb als auch bei der massenweisen Herstellung mehr als das eine Elektrogerät, welches früher in den Wohn- und Arbeitszimmern stand.

Technologische Innovationen – … wenn nur der Mensch nicht wäre

Ein ähnlicher Rebound-Effekt, d.h. wenn ein vermeintlich nachhaltiges Verhalten doch zu negativen Effekten führt, ist bei der Mobilität zu beobachten. Vor kurzem hat der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) Niedersachsens gejubelt, dass im Jahr 2015 in Deutschland schon 535.000 Elektrofahrräder verkauft wurden. Die Fürsprecher des grünen Wachstums würden behaupten, viele dieser Räder ersetzen ein Auto. Doch wie häufig sieht man ein Elektrofahrrad vor dem Supermarkt? Ersetzen diese Räder nicht vielmehr normale Fahrräder ohne Zusatz-Antrieb? Sind Elektrofahrräder nicht ein zusätzlicher Energiefresser, vor allem, wenn sie statistisch gesehen zu gut 40% mit Strom aus Kohlekraftwerken betrieben werden?

Und ähnlich sieht es bei den vermeintlich grünen Elektroautos aus. So berichtet die Lunapark21 (Heft 33), dass in Norwegen vor dem Kauf eines Elektroautos 65% der Fahrten zur Arbeit mit dem PKW stattfanden. Nach dem Kauf eines Elektroautos waren es 83%. Der Anteil der Fahrten mit dem öffentlichen Nahverkehr, dem klimafreundlichsten Verkehrsmittel, sank hingegen von 23% auf nur noch 4%. Bei auf den ersten Blick „klimafreundlichen Produkten“ kommt es also immer darauf an, welche Produkte sie ersetzen. Da Fahrten mit einem Elektroauto laut Statistik der Lunapark21 doppelt so viel CO2 ausstossen wie die mit Bus und Bahnen (1), kommt es durch den Kauf eines Elektroautos eben nicht zu einer Verbesserung der eigenen Klimabilanz.

Hunderte von Studien belegen, „dass Rebound Effekte langfristig mindestens 50% des Einsparpotentials von Effizienzmassnahmen aufzehren werden.“ Daraus ist abzuleiten, dass eine Verminderung der Treibhausgase um 80 bis 90% wie sie zur Erreichung des 2 Grad-Ziels notwendig ist, durch Effizienzstrategien und das Produzieren „im Einklang mit der Natur“ allein nicht erreicht werden kann.

Auch bedenken viele Vertreter des grünen Wachstums nicht, dass Unternehmen, wenn sie effizienter produzieren und dadurch Kosten einsparen, diese Gewinne in anderen Bereichen wieder ausgeben werden. Denn auch in der grünen Wirtschaft stehen die Unternehmen in einem engen Wettbewerbsverhältnis zueinander und sind nicht vom Zwang zum Wachstum befreit. Unternehmen werden sich nicht einfach mit weniger zufrieden geben, wenn sie eingesparte Kosten reinvestieren können, uns KonsumentInnen dadurch ein neues, vermeintlich grünes Produkt verkaufen und ihre Gewinne noch einmal steigern können. Und selbst wenn die Effizienzgewinne der Unternehmen nicht reinvestiert werden, dann werden sie an Aktionäre oder Teilhaber ausgeschüttet, die wiederum die Nachfrage und somit den Ressourcenkonsum und den Klimawandel ankurbeln.

Der Fokus auf die Effizienz einzelner Produkte ist also irreführend. Um die Klimaziele zu erreichen und unsere Wirtschaft wirklich grün zu machen, müssen wir den Gesamtverbrauch an Energie senken.

Im Einklang mit der Natur produzieren – auch nur schöner Schein

Nun mag argumentiert werden, das (zusammenaddierte) Mehr an Energieverbrauch unserer zahlreichen Elektrogeräte und unserer E-Bikes und E-Autos werde aus erneuerbaren Energien gewonnen und somit würden wir trotz mehr Wachstum und Konsum CO2 einsparen. Doch auch erneuerbare Energie kommt nicht einfach aus der Steckdose. Wenn mehr grüne Energie produziert werden soll, dann braucht es auch mehr Windräder, Solarmodule und Biogas-Anlagen – und Stromleitungen, Steuerungselemente und Transformatoren. Dadurch steigt die Nachfrage nach Biomasse, die in den Biogas-Anlagen zu Energie verwandelt wird und die Nachfrage nach Rohstoffen, die in den Generatoren der Windräder, den Modulen der Solar-Anlagen oder den Steuerungselementen und Transformatoren enthalten sind.

Die Biomasse ist ein schönes Beispiel für die Widersprüchlichkeiten des grünen Wachstumsmodells. Europa hat schon heute nicht genug landwirtschaftliche Flächen, um den Verbrauch an Lebensmitteln, vor allem der Futtermittel-intensiven Fleischproduktion und der Nachfrage nach Raps und Ölpalmen für die Biospritproduktion aus eigenem Anbau zu decken. Die EU-Staaten importieren schon heute „Agrarprodukte, die auf Ackerflächen ausserhalb der EU liegen, in einer Grössenordnung von circa 30 Millionen Hektar“. Das ist doppelt so gross wie die gesamte landwirtschaftlich genutzte Fläche Deutschlands. Allein an Soja für die Fleischproduktion importiert Europa eine Fläche von circa 15 bis 17 Millionen Hektar. Diese landwirtschaftlichen Flächen können in den Anbauländern nicht mehr für die Eigenversorgung mit Lebensmitteln verwendet werden. Und häufig sind sie durch die Zerstörung von Regenwald entstanden, was doppelt zum Klimawandel beiträgt. Zum einen wird durch die Brandrodung direkt CO2 freigesetzt, zum anderen kann der zerstörte Regenwald zukünftig kein CO2 mehr binden. Soll in Zukunft noch mehr Biosprit oder Energie aus Biogas produziert werden, nehmen auch die Brandrodungen, die Landkonflikte, bspw. die Vertreibung von Indigenen, und der Raubbau an der Natur zu.

Und auch der Abbau von Rohstoffen, die in Steuerungselementen von Solarmodulen und Windrädern, in Computern und Generatoren enthalten sind, ist schon heute mit gravierenden Umweltzerstörungen und Menschenrechtsverletzungen verbunden. In einem einzigen Windrad sind 30 bis 60 Tonnen Kupfer verbaut. Der Abbau dieser Rohstoffe kann niemals „im Einklang mit der Natur“ stattfinden. Schliesslich werden im Bergbau täglich Millionen Liter Wasser und Diesel verbraucht und giftige Stoffe eingesetzt. Die lokale Bevölkerung, die in Minengebieten lebt, wird gewaltsam vertrieben und oft geht der Abbau von Rohstoffen mit der Verschmutzung von Wasser und Lebensräumen einher. Auch sind einige Rohstoffe eine Finanzquelle von bewaffneten Gruppen und Diktatoren. Oder wie es Kritiker des grünen Wachstums fassen: „Ein emissionsärmerer Energiemix heisst noch lange nicht das Ende der Ausbeutung von Mensch und Natur“. Wie schon beim CO2-Handel zeigt sich auch hier, dass unser grünes Wachstum zu Lasten der Menschen im globalen Süden stattfindet.

Zudem hat der Umstieg auf Erneuerbare Energien in Deutschland seit der Jahrtausendwende nur zu einer Abnahme von zehn Prozent an CO2-Emissionen pro Einheit Strom geführt. Da die Stromerzeugung und der Stromverbrauch insgesamt gestiegen sind, fallen die CO2-Einsparungen durch den Umstieg auf die Erneuerbaren Energien noch geringer aus. Auch hier zeigt sich, dass Rebound-Effekte die schönen Zahlen der Energiewende zunichtemachen.

Fazit

Während das Modell des grünen Wachstums auf dem Papier schlüssig klingt, zeigen sich gravierende Mängel in der Praxis. Rebound-Effekte machen vermeintliche Effizienz-Gewinne zunichte, sodass die Problematik des Klimawandels und der Umweltzerstörung mithilfe des vermeintlich „grünen Konsums“ nur etwas verlangsamt, nicht aber gestoppt wird. Zudem ist die Politik nicht willens oder aufgrund von Koordinierungsproblemen oder unterschiedlichen Interessenlagen auf internationaler Ebene nicht fähig, einen globalen CO2-Handel aufzubauen und die Natur zu bepreisen. Solange aber nicht ein solcher globaler CO2-Markt geschaffen wurde oder die Staaten sich darüber einigen, verpflichtend CO2 einzusparen, wird es nicht zu einem grünen Wachstum kommen. Darüber hinaus ist ein Produzieren im Einklang mit der Natur kaum möglich, wie die Förderung der in Windrädern oder Solaranlagen enthaltenen Rohstoffe, die einen hohen CO2-Fussabdruck haben, belegt.

Auch die Forderungen der Wirtschaft nach einer staatlichen Förderung des grünen Wachstums ist recht durchschaubar. Denn das grüne Wachstum geht mit Innovationen und technologischer Entwicklung einher. Und diese brauchen die deutschen Unternehmen sowieso, um gegenüber Unternehmen aus anderen Ländern wettbewerbsfähig zu bleiben und ihren Vorsprung zu wahren. Der BDI fordert also eine grüne Wirtschaft nach seinen Vorstellungen, rein aus ökonomischen, nicht aber aus ökologischen Gesichtspunkten.

Der Klimawandel ist nur zu stoppen, wenn es zu einer globalen Einsparung von CO2 kommt. Dies wird nur möglich sein, wenn es zu einem massiven globalen Eingriff zur Erhöhung des Preises für fossile Energieträger kommt und die Förderländer sich bereit erklären, diesen Preisanstieg nicht durch eine klimaschädliche Ausweitung der Produktion von Öl, Gas und Kohle auszugleichen. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen allerdings zunächst die Machtstrukturen auf politischer und wirtschaftlicher Ebene hinterfragt werden, die das System des Überkonsums an Rohstoffen und Natur aufrechterhalten.

Zudem ist festzuhalten, dass der marktbasierte Ansatz des grünen Wachstums die Menschenrechtsverletzungen missachtet, die auch in einer „grünen Ökonomie“ begangen werden – die Umweltzerstörungen, beispielsweise die Verschmutzung von Trinkwasser, die Zerstörung von Lebensraum und Einkommensmöglichkeiten sowie die Vertreibungen in Folge von Rohstoffabbau und Landnahme. Damit wir uns im globalen Norden mithilfe von CO2-Kompensationen von unserer Verpflichtung für einen nachhaltigen Lebensstil freikaufen können, bezahlen die ohnehin schon Marginalisierten in den Ländern des globalen Südens.

Nico Beckert
zebralogs.wordpress.com

Fussnoten:

(1) Wenn die Fahrzeugherstellung und der Betrieb zusammenaddiert werden.