Über Arbeit, Lohnarbeit und selbstverwaltete Arbeit Leben oder Lohnarbeit

Gesellschaft

Ein Plädoyer für das schöne Leben, für die gemeinschaftliche Arbeit und gegen den autoritären Materialismus von Staat, Konzernen und kaptitalistischer Tradition.

Leben oder Lohnarbeit.
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Leben oder Lohnarbeit. Foto: Iliyan Yankov (CC BY-NC-SA 2.0 cropped)

30. August 2016
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Korrektur
Wie können wir „produktiv tätig sein“ nennen in einer von autoritären Wirtschaftssystemen befreiten Gesellschaft? Wie viel Berechtigung und Wahrheit hat der Slogan „Arbeit ist Scheisse!“ und wie vermischen wir andauernd Wortbedeutungen und Zusammenhänge? Ein Versuch aufzuräumen, ohne wie Marx zu klingen.

Arbeit ist zielgerichtetes, produktives tätig sein

Wir werden geboren. Aus welchem Grund auch immer haben unsere Eltern beschlossen einen neuen Menschen in diese eine Welt zu setzen. Wir wachsen auf, wir üben die Muskeln zu bewegen, zu denken, zu erkennen, spielend zu kombinieren, Dinge zu erschaffen aus schon bestehenden Dingen, Zusammenhänge zu erkennen und unsere Abhängigkeiten wahrzunehmen, uns zu verorten, uns als Teil einer menschlichen Gesellschaft wahrzunehmen und mit ihr zu interagieren.

Alles was wir als Kind tun, entspringt aus dem Interesse an der Beschäftigung, der Aktivität selbst, sei sie physisch oder geistig. Es zählt nur die Tätigkeit an sich. Und mit seinen Tätigkeiten in Wechselbeziehung formt sich ein ausgewachsener Mensch.

Der Mensch ist immer auch das Produkt seiner eigenen Tätigkeiten und der Tätigkeiten anderer! Das gilt eben auch für alle möglichen Wirtschaftssysteme und Arbeitsverhältnisse! Die wirtschaftliche Verhältnisse z.B., die auf autoritären Produktionsbedingungen und nicht auf selbstbestimmten, selbstverwalteten beruhen, fördern eben auch hierachische Verhaltensformen und Weltsichten bei den in ihnen tätigen Menschen. Die Umgebung und die dominante, weitverbreitete Form von Tätig sein erzeugt dann eben eine Realität.

Selbstverwaltung und Selbstbestimmung ist nicht einfach in den Menschen angelegt, sondern entsteht aus der Praxis, dem Erlernen derselben. Es bedarf immer den Brüchen mit dem Bestehenden um Raum für anderes Lernen zu haben. Als Arbeit verstehe ich das produktiv tätig sein, geistig wie körperlich.

Was ist Lohnarbeit?

Doch in der materialistischen Welt und ihren Ideologien genügt sich die Arbeit nicht selbst. Weder im Kapitalismus, in dem die Arbeit immer in Abhängigkeit zur Profitmaximierung betrachtet wird, noch im staatlichen Sozialismus, in welchem Arbeit immer in Abhängigkeit zur Maximierung des materiellen Volkswohls betrachtet wird. Beides sind autoritäre materialistische Ideologien, wobei in dem einem die kapitalistischen Profiteur_innen die Autorität bilden und im anderen der sozialistische Staat. Der staatliche Sozialismus war einmal und deshalb steht für mich hier eher der Kapitalismus im Fokus.

Im Kapitalismus gibt es viele verschiedene Ausbeutungsverhältnisse, man könnte schon fast sagen, der Kapitalismus ist ein reines Ausbeutungsverhältnis. Das im Kapitalismus wichtigste Ausbeutungsverhältnis wird von den einen Bourgoisie vs. Proletariat, von den anderen Arbeitgeber_ in vs. Arbeitnehmer_in und von anderen wiederum Besitzende vs. Lohnabhängige genannt. Das Thema der Ausbeutungsverhältnisse ist natürlich noch weitaus komplexer. Darum soll es mir aber nicht gehen, weil es mir wichtig ist, die Menschen zu betrachten, die nicht von der Lohnarbeit durch Rücklagen und Immobilien etc. profitieren, d.h. welche die Lohnarbeit zur eigenen Wiederherstellung benötigen.

Aus kapitalistischer Sicht besitzen fast alle Menschen die Fähigkeit zu arbeiten. Alle haben einen Besitz: die Lebenszeit auf diesem Planeten, in welcher ihre Fähigkeit zu arbeiten eine grosse Rolle spielt. Nur manche haben durch zufällige Umstände mehr Besitz als nur sich selbst. Darauf können wir als Menschen biologisch keinen Einfluss nehmen. Wo, wann und in welcher Familie oder Sippe wir geboren werden, ist Zufall. Ob unsere Sippe/Familie Besitzende sind, hängt von gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen ab. (Bist du in West-Europa geboren, hast du im Schnitt wirtschaftlich bessere Grundlagen als in Nordafrika).

Alle besitzen Zeit und einige besitzen zusätzliche materielle Güter und Geld, um zu produzieren oder sich diese Mittel für die Produktion zu erwerben. Diese Ungleichheit ist die Folge gesellschaftlicher und politischer Verhältnisse in der menschlichen Geschichte. Im Kapitalismus steht alles zum Verkauf, auch unsere Lebenszeit und die Fähigkeit zu arbeiten.

Somit wird aus der Arbeit die „Lohn-Arbeit“ und aus der Lebenszeit die „verkaufte Lebenszeit“. Im Kapitalismus wechselt durch Kauf und Verkauf der Besitz. Das heisst, wenn jemand Lohnarbeit macht, gehört er/sie sich während dieser Zeit nicht mehr sich selbst, sondern er/sie gehört dem/der Käufer_in. Der/Die Käufer_ in ist dann in diesem Fall idealerweise die Person, die neben sich selbst noch anderen Besitz hat und die Arbeitskraft der anderen Person braucht, um zu wirtschaften. Der Kaufpreis ist der Lohn.

Weil der Kapitalismus auf Profit und Wachstum des Kapitals beruht wird der Lohn nicht dem eigentlichen Wert der Arbeitszeit entsprechen, sondern tiefer sein, damit er dem Käufer Profit bringt. Das heisst einfach gesagt, würden allen Menschen faire Löhne, d.h. Preise für ihre Arbeitskraft, d.h. Lebenszeitstunden gezahlt, würde der Kapitalismus nicht funktionieren, bzw. wäre inexistent. Somit bilden die Unfairness und der Betrug die Basis des funktionierenden Kapitalismus und die Lohnarbeit ist einer seiner Pfeiler.

Freiwillige Versklavung?

Interessant wird es dann, wenn wir uns die Frage stellen: „Was hat der lohnarbeitende Mensch von diesem Ausbeutungsverhältnis?“ Auf jedenfall nicht viel, eben den Lohn, also Geld. Und hier wird der Unterschied zwischen den Lohnabhängigen klar. Die einen, die jeden Tag ihres Lebens von morgens bis abends arbeiten und gerade soviel Lohn zur Verfügung haben, um davon ihre Fähigkeit zu Arbeiten und die ihrer Familie wiederherstellen zu können und diejenigen, die durch ihren Lohn Rücklagen bilden können und selbst zu „Besitzenden“ werden können.

Die letzteren gehören auch zu den Profiteur_ innen und würden somit das unfaire System stützen und schützen, wobei ihre Lage auch nicht schön ist. Für das bisschen Sicherheitsrücklagen geben sie einen grossen Teil ihrer Selbstbestimmung auf.

Die anderen sind die Nichtprofiteur_innen. Diese Menschen spüren Tag für Tag die Ungerechtigkeit des Systems und spüren wie ihre Lebenszeit, wenn nicht sogar ihr ganzes Leben, in der Hand anderer Menschen liegt. Selbstbestimmung ist hier Fehlanzeige. Vielleicht sollten wir uns daher die Frage stellen, wo wir, jede_r Einzelne stehen und ob wir uns in der kapitalistischen Wirtschaft auf der Seite der Profiteur_innen fühlen oder auf der Seite der Nichtprofiteur_innen und wo wir wirklich stehen und was wir eigentlich wollen.

Bei weiterer Betrachtung fällt aber noch auf, dass die vermeintlichen Sicherheiten der Profiteurs-Lohnabhängigen auch nicht sicher sind. Sie sind sozusagen Pseudobesitzende, weil die Sicherheiten nur durch die Stabilität des Banken- und Immobiliensystems gewährleistet sind. Im Kapitalismus gehören Wirtschaftszusammenbrüche in Form von Überproduktions- oder Finanzkrisen aber zum normalen Zyklus und wiederholen sich alle paar Jahre, wodurch die als „sicher“ vermuteten Rücklagen entwertet werden können (siehe Griechenland, Portugal, Spanien, Zypern).

Um das weitere Funktionieren der verschiedenen Gruppen zu gewährleisten braucht es (neoliberale) Mythen und Lügen wie Finanzmarktstabilität, Aufstiegschancen und Abstiegsangst auf der einen Seite und auf der anderen Alternativlosigkeit, Hoffnungslosigkeit usw. damit eine Solidarisierung von den Profiteurs-Lohnabhängigen und den Nichtprofiteur_innen verhindert wird. Wir sehen eine ziemlich festgefahrene Situation, in der sicherlich noch ganz viele andere Komponenten mit hinein spielen, wie z.B. Nationalismus, Obrigkeitshörigkeit, Individualismus und reaktionäre Traditionen.

Interessant ist ausserdem, dass die leichte Beteiligung von mehr Menschen am Profit hier eine stabilisierende Wirkung auf das politische System hat und sich Menschen bereitwillig der Lohnabhängigkeit hingeben und auf der Arbeit die Füsse stillhalten. Vorallem in den reichen Ländern wie der Schweiz oder Deutschland ist der Mythos vom sozialen Frieden weit verbreitet und revolutionäre Perspektiven haben nicht viele Ansatzmöglichkeiten oder werden als unrealistisch und überflüssig abgetan. Den wirklich stark Ausgebeuteten - das sind in der Schweiz Schätzungsweise immerhin mindestens 15% der Werktätigen [1] - wird durch rassistische oder antisoziale Propaganda das Gefühl von Schwäche vermittelt oder sie wären Menschen zweiter Klasse.

Was könnten wir ganz praktisch tun?

Also was tun? Welche Handlungsmöglichkeiten kann es geben, diesen paradoxen Kreislauf der Lohnarbeit zu durchbrechen und revolutionäre Projekte vor Ort voranzutreiben?

Wenn wir es schaffen uns von einem Teil der Lohnarbeit freizumachen, aber dennoch über die selben Mittel verfügen, können wir nicht-kommerzielle Strukturen aufbauen. Nicht der Mangel an Utopien und Ideen ist das Problem, sondern einfach die Zeit, das Geld und der Optimismus, die uns fehlen.

Der Anfang ist schwierig und arbeitsintensiv, aber auch machbar. Es gibt schon zig verschiedene Projekte, die Nichtkommerzialität praktizieren. Je mehr nicht-komerzielle Infrastruktur wir bauen und organisieren, um so leichter fällt es Menschen, welche materielle Sicherheit für den ersten Schritt brauchen, mitzumachen. Der Kapitalismus hat einfach eine riesige Infrastruktur, die alle materiellen Bedürfnisse abdeckt – zumindest in Europa. Unsere nicht-komerziellen Verhältnisse sind marginal und uns fehlt oft das Selbstbewusstsein unsere Träume und Utopien ernst zu nehmen und im politischen, wie sozialen Kampf mit der bestehenden Ordnung als erstrebenswert und gerechter zu verteidigen.

Wir brauchen die Umorganisierung der Verhältnisse nicht zu fordern, wir brauchen auch garnichts am Bestehenden zu reformieren, sondern wir müssen die Verhältnisse in denen wir leben wollen einfach selbst organisieren!

Die Perspektive ist in meinen Augen, dass an Stelle der Lohnarbeit, die selbstverwaltete Arbeit tritt. In der selbstverwalteten Arbeit gehören wir uns selbst und die Produkte sind die unseren und die unserer Gruppe, alles steht der Allgemeinheit zur Verfügung ohne das ein Gegenwert nötig wäre.

Jeder Mensch kann machen, was er/sie möchte. Jeder Mensch kann leben wo er/ sie möchte. Jeder Mensch kann und darf aus eigenem Antrieb tätig sein und nicht weil es die wirtschaftlichen Verhältnisse von ihm/ihr verlangen.

Organisieren wir uns selbst und nehmen unsere Träume ernst!

Gegen die Lohnarbeit, für selbstverwaltete zukunftsgerichtete Arbeit!

jHs / Di schwarzi Chatz 41

Fussnoten:

[1] Schätzung nach Lohnverteilung und Lebenserhaltungskosten: http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/03/