Warum Populisten wie Trump versprechen, den “Sumpf trockenzulegen” Im Nebel der Institutionen

Gesellschaft

Ein zentraler Wahlkampfslogan des Populisten Donald Trump war, den “Sumpf in Washington trockenzulegen”. Damit versprach der Populist, die Verstrickungen von Politik und Medien abzuschaffen. Welche Vision liegt dieser Rhetorik zu Grunde?

Das weisse Haus in Washington.
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Das weisse Haus in Washington. Foto: Pete Souza (PD)

1. Dezember 2016
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Juristin Daniela Jaros und Medienkünstler Georg Eckmayr unternehmen im zweiten Teil ihrer Artikelserie eine Bestandsaufnahme:

Die Aushöhlung der demokratischen Institutionen, wie schon 2004 von Colin Crouch beschrieben, führt unter anderem zur Loslösung des politischen Diskurses von politischen Institutionen. Nationalen und europäischen Regierungen und Parlamenten wird im medialen Diskurs der Vorwurf der von technokratischen Eliten dominierten Abgehobenheit und der mangelnden Auseinandersetzung mit den Gefühlen und moralischen Vorstellungen der Bürger gemacht.

Mit der Kritik an der Vereinnahmung von demokratischen Institutionen durch Eliten geht ein weiterer Vorwurf einher, nämlich dass diese mithilfe von Institutionen ausschliesslich ihre eigenen Interessen bedienen. Folglich sei die Entfernung des Sprechens vom Politischen aus einem institutionalisierten Handlungsraum und die Verlagerung dieses Sprechens auf die individuelle Gefühlsebene die logische Konsequenz.

Argumente haben keine Chance gegen Wut

Dadurch büsst der politische Diskurs aber Verbindlichkeit ein. Der Versuch, Gefühle wie Wut oder Angst mit rationalen Argumenten aus dem Weg zu räumen scheitert, wie man an Wahlergebnissen wie bei der Präsidentschaftswahl in den USA oder der Abstimmung über den Verbleib des Vereinigten Königreichs in der EU beobachten kann, zunehmend.

Populistische Inhalte erfahren gerade wegen ihrer Reduktion, ihrer Einfachheit und ihres emotionalen Gehalts hohe Verbreitung in digitalen Medien. Eine Verbreitung, die der Darstellung komplexer Sachverhalte oder wenig aufregenden aber wichtigen Verhandlungsergebnissen oft verwehrt bleibt.

Selbst wenn Institutionen auf Transparenz bedacht alle Ergebnisse veröffentlichen würden, besteht die Möglichkeit, dass diese im Lärm der Wutbürgerdebatte nicht gehört werden. Aus diesem Grund sind staatliche, soziale und europäische Institutionen gefordert, Wege des Umgangs mit populistischen Debatten zu finden.

Institutionen und ihre Funktion

Institutionen wie Parlamente, Regierungen, Gerichte und NGOs sowie Gesetze, Verhaltens- und Standesregeln bestimmter Berufsgruppen (z.B. der Pressekodex) haben traditionell die Funktionen, auf Grundlage von akzeptierten Kriterien Fakten zu sortieren, Verhandlungen zwischen verschiedenen Interessensgruppen zu organisieren und zu strukturieren, sowie Verhandlungs- bzw. Diskussionsergebnissen Verbindlichkeit zu verleihen.

Die normative Grundlage hierfür bietet ein bestimmtes liberal-demokratisches Staatsverständnis, das von grundrechtlichen Garantien für alle Individuen, demokratischer Teilnahme und Repräsentation, Gewaltenteilung im staatlichen und globalen Machtgefüge sowie von Zurückhaltung der Staatsgewalt, die idealerweise in einer Trennung zwischen Staat und Gesellschaft mündet, charakterisiert ist.

Ein solches Verständnis ist auch in Bezug auf die europäischen Institutionen zumindest angestrebt, wenn auch in manchen Aspekten noch nicht verwirklicht. So ist es zum Beispiel eine Errungenschaft des liberal-demokratischen Staatsverständnisses, dass staatliche Eingriffe in das Privatleben von Bürgerinnen und Bürgern, wie in deren Familie, Gesundheit oder religiösen Glauben, nur im Ausnahmefall und dann unter strengen Bedingen möglich sind.

Das ist eines der wichtigsten Charaktermerkmale eines pluralen und nicht totalitären Staats. Auch bieten die existierenden Institutionen die Möglichkeit des besonnenen Diskurses über schwierigen Fragen, wie jene des Umgangs eines liberalen Staats mit illiberalen Gruppen und Praktiken in seinem Inneren.

Verliert einer seine Freiheit, verlieren alle sie

Die Anerkennung des aus all diesen Elementen bestehenden liberal-demokratischen Staatsverständnisses ist gleichzeitig die einzige Garantie für das Fortbestehen eines liberal-demokratischen Staats wie wir ihn kennen.

Der Verzicht auf einzelne Elemente dieses Staatsverständnisses, wie zum Beispiel auf Grundrechte für bestimmte Gruppen wie Flüchtlinge oder Minderheiten oder auf den Schutz der eigenen Daten führt letztlich zu Freiheitsverlust für alle.

Im ersten Fall wird die Universalität von Rechten in Frage gestellt und anhand rassistischer oder sonst nicht mit den Grundrechten vereinbarbarer Kriterien eine Gruppe ausgemacht, die von der Universalität ausgenommen wird. Sobald diese Ausnahme akzeptiert ist, ist es nur eine Frage der Zeit, bis die nächste Gruppe – und vielleicht man selbst, da man als jung, alt, weiblich, männlich oder sonst kategorisierbar ist – betroffen ist.

Im zweiten Fall bedeutet ein Verzicht auf strenge Beschränkungen der Staatsgewalt Überwachung vieler über blosse Sicherheit hinausgehender Aspekte wie Gesundheit oder ‚Werteverbundenheit'. Aus einem liberal-demokratischen Staatsverständnis soll es undenkbar bleiben, dass ein Staat seinen Bürgern Fitnessprogramme zum Erhalt der Volksgesundheit vorschreibt oder das fehlerfreie Rezitieren deutscher Kinderlieder zur Bedingung für den Erhalt von Sozialleistungen macht.

Der Populist wird die alten Institutionen nutzen

Eine Untergrabung des Staatsverständnisses mithilfe populistischer Inhalte führt schliesslich auch dazu, dass Probleme auf einer Ebene diskutiert werden, auf der keine Lösung möglich ist.

Aus diesem Grund ist es seitens populistischer Politik unverantwortlich und entmündigend, für die Zwecke ihrer eigenen Machtübernahme Wähler im Wege digitaler Medien mit Versprechen zu mobilisieren, die den Wählerinnen und Wählern zwar kurzfristig Wohlbefinden durch die Möglichkeit zur spontanen, meist einzeiligen Unmutsäusserungen geben, ihnen, wenn sie wahr werden würden, aber sogar schaden würden.

Statt darüber zu diskutieren, ob bestimmte Verhandlungen besser auf nationaler oder europäischer Ebene, von der Exekutive allein oder mit Einbindung des Parlaments, vor einem Gericht oder von einer europäischen Institutionen geführt werden sollen, zielt der Populismus gezielt darauf ab, den Eindruck zu erwecken, dass keine Institution fähig sei, eine dem individuellen Empfinden gerecht werdende Verhandlung zu führen.

Der populistische Machtmensch kann, wenn er dann gewählt ist, getrost sein Amt antreten und sich der „alten, nutzlosen“ Institutionen zur Sicherung der eigenen Machterhalt bedienen, da seine Wählerinnen und Wähler ohnehin nicht mehr erwarten, dass die Institution ordnungsgemäss funktioniert.

Wie können Institutionen reagieren?

Die Frage, die sich Institutionen stellen müssen, ist wie sie auf die Mobilisierung durch digitale Medien mittels der narrativen Übertragung des Politischen ins Individuelle reagieren sollen. Sie müssen die schwierige Gratwanderung zwischen dem Risiko, die eigene Glaubwürdigkeit zu verlieren, und der Notwendigkeit, an Diskursen teilzunehmen und Gefühle entsprechend zu adressieren, beschreiten.

Eine solche könnte gelingen, wenn sie den politischen Diskurs dort, wo er auf das Individuum reduziert worden ist, aufgreifen, ihn um eine emanzipatorische Komponente ergänzen und somit aus einer Kampagne wieder einen politischen Diskurs machen.

Da es sich aus einem liberal-demokratischen Staatsverständnis heraus eher bedrohlich als emanzipatorisch anhört, aus Forderungen wie jenen in den Kampagnen für den nun gewählten US-Präsidenten Trump politisches Programm zu machen, muss genauer definiert werden, wie eine institutionelle Reaktion auf eine auf individuellem Empfinden basierende Mobilisierung auszusehen hat.

Und man muss der Frage nachgehen, wie man Erfolg damit haben könnte, bei der Mehrheit der Wähler (wieder) ein liberal-demokratisches Staatsverständnis, ein vom individuellen Empfinden ausgehendes, sich aber auf die Gesellschaft beziehendes Verantwortungsbewusstsein und auch ein entsprechendes Verständnis für die Notwendigkeit, in einer globalisierten Welt auf supranationaler, europäischer Ebene Entscheidungen treffen zu können, herzustellen.

Georg Eckmayr
berlinergazette.de

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