Arme Menschen werden aus den Ballungszentren «herausgebaut» Der Umbau der Städte

Gesellschaft

Die letzte Bundesregierung berechnete einen Bedarf von 350.000 neuen Wohnungen, die pro Jahr gebaut werden müssten.

Abriss des Frapant Karstadt in der grossen Bergstrasse Hamburg-Altona, März 2011.
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Abriss des Frapant Karstadt in der grossen Bergstrasse Hamburg-Altona, März 2011. Foto: / Emma7stern (CC BY 3.0 unported - cropped)

3. April 2018
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Zwar wurde diese Zielmarke nicht erreicht, sondern bleib in den vergangenen Jahren immer unter 300.00 neugebauten Wohnungen, dennoch belegen die Zahlen, was auch im blossen Augenschein so wirkt: Es wird gebaut. Rein optisch ist es einfach, die Neubauten zu identifizieren, folgen sie doch alle einer ähnlichen Architektur, eine meist schlichte Kastenform, mal mit schmalen Fenstern an der Frontseite, dafür Panoramafenster nach hinten, ganz so, als wolle man sich nach aussen abgrenzen und nach innen öffnen, mal mit dem Panoramafenster vorn, welches den Vorbeilaufenden einen Blick auf das Innere erlaubt. Wer's hat, mag's zeigen.

1. Es wird gebaut

Ob es sich bei diesem modernen Auswürfen menschlichen Gestaltungswillen um schöne Gebäude handelt, sei einmal dahingestellt und für's erste in die Sphäre des Geschmacks verbannt. Was sich jedoch ganz objektiv feststellen lässt, sind zwei Bedingungen, welche beim Neubau berücksichtigt werden. Auf der einen Seite müssen die Wohnungen bestimmte staatliche Anforderungen erfüllen, wie etwa Anforderungen der Energieeffizienz, wie auch diverse bauliche Sicherheitsbestimmungen, was die Kosten natürlich nach oben treibt, auf der anderen Seite möchten diejenigen die Bauen, so günstig bauen, wie es geht, das bedeutet, Materialien müssen billig eingekauft, sowie die Bauzeit soweit es geht nach unten gedrückt werden. Es wird sich im allgemeinen an den untersten Baukosten orientiert, um das geforderte Mindestmass an staatlichen Baubestimmungen zu erfüllen. Herauskommen eben jene Kästen, die bundesweit aus den Boden schiessen und die alles in allem Billigbauten bleiben.

2. Es wird nicht für alle gebaut

Trotz der emsigen Bautätigkeit kann, gerade in den Ballunsgzentren, der Bedarf an neuem Wohnraum nicht gedeckt werden. Und überall da, wo der Bedarf grösser ist als das Angebot, steigt der Preis. Allein aus diesem Umstand ergibt sich, dass gerade in attraktiven Wohngegenden, wo auch entsprechend gerne gebaut wird, Menschen, die sich höhere Mieten leisten können, bevorzugt werden gegenüber Leuten, die auf günstige Mieten angewiesen sind. Und noch ein weiterer Faktor kommt hinzu: Neugebauter Wohnraum will rentabel vermietet werden, sonst macht er für alle, die damit Geld verdienen wollen, und das sind die meisten derer, die in der Baubranche tätig sind, keinen Sinn. Doch ergibt sich aus den Baubestimmungen, den für interessante Lage steigenden Grundtsückspreisen und den daraus resultierenden Mindestbaukosten gar kein brauchbares Konzept, welches es sinnvoll erscheinen lässt, Wohnungen mit niedrigem Mietpreis zu bauen.

Beispielsweise in Frankfurt am Main folgte aus diesem Umstand, dass sich neugebaute Wohnungen in den zentralen Lagen nicht mehr für einen Quadratmeterpreis unter 11,-€ sinnvoll vermieten liessen. Für die Baufirmen ist das kein Problem, weil es einen weiterhin fortlaufenden Umzugstrend in die Ballungszentren gibt und weil sich eine notgedrungen wachsende Bereitschaft zeigt, immer grössere Teile seines Einkommens für attraktiven Wohnraum auszugeben. Dass in dieser Situation auch die Preise für alten Wohnraum steigen, kann kaum überraschen. Sie bauen, so lange es Menschen gibt, die bereit sind zu zahlen. Sie bauen jedoch nicht für alle, sondern vor allem für die Wohlhabenden. Dass mit Harz4 oder einem geringen Einkommen der Einzug in eine Neubauwohnung nicht mehr machbar ist, ist mehr als augenscheinlich.

3. Es wird umgebaut

Gerade in populären Städten wird der Zuzug und Umzug für arme Menschen immer schwieriger und dieser Prozess wird durch den derzeit laufenden Neubau nur noch verstärkt: Neugebauter Wohnraum ist zu teuer für arme Menschen und bestehende Wohnraum wird zu teuer, oder ist bereits zu teuer geworden. Neubau ist also nicht nur Neubau, sondern auch Umbau, und zwar bezogen auf die Sozialstruktur ganzer Viertel und Städte. Arme Menschen werden aus den Ballungszentren quasi herausgebaut. Vorher mag noch das eintreten, was von Analyst_innen „Lock-In-Effekt“ genannt wird.

Das bedeutet, dass jemand noch eine Mietwohnung hat, die sich aufgrund eines alten Vertrages bezahlen lässt, dass aber bereits im Umfeld die Mieten für Neuvermietungen so weit nach oben gegangen sind, dass ein Umzug nicht mehr finanzierbar, die Mieter_in also in ihrer Wohnung „eingeschlossen“ ist. Doch ist das nur eine Phase. Sie wird beendet durch die Möglichkeit der Vermieter, die Miete an den Mietspiegel anzupassen, was auf kurz oder lang dazu führen wird, dass der Mensch, der in einer noch günstigen Wohnung wohnt, sich seine Miete ebenfalls nicht mehr leisten kann, wie auch, dass wenn der Mensch wegzieht, aus welchem Grund auch immer, dieser Moment genutzt werden kann, die Miete deutlich anzuheben. Auch die sogenannte Mietpreisbremse der letzten Bundesregierung lässt hierfür etliche Möglichkeiten offen. Neubau und Sanierung sind immer auch sozialer Umbau.

4. … und du bist raus

Diese Prozesse sind vermutlich für viele, die sich mit dem Wohnen selbst schon beschäftigt haben, weil sie es mussten oder einfach aus Interesse, nicht neu. Doch auch wenn der Prozess nicht neu ist, so ist doch neu, was sich als gesellschaftliches Verhältnis konkret daraus entwickelt. Dieses war und ist zwar absehbar, doch ist es ein Unterschied, ob etwas absehbar und somit erst einmal abstrakt bleibt, oder ob es sich konkret auswirkt und die gesellschaftliche Wirklichkeit verändert. Die Folgen des sozialen Umbaus der Städte werden nach und nach ebenso greifbar, wie sie durch die Kastenneubauten sichtbar werden. Zum einen steigt die Wohnungs- und Obdachlosigkeit und zwar rasant: So waren 2016 circa 860.000 Menschen ohne Wohnung, was seit 2014 mehr als eine Verdopplung bedeutet, für 2018 wird geschätzt, dass mittlerweile 1,2 Millionen Menschen keine eigene Bleibe mehr haben. Betroffen sind dabei in zunehmenden Masse auch ganze Familien, die ihre Wohnung verlieren und dann zu Verwandten, Bekannten oder auf die Strasse ziehen.

Eine andere Auswirkung ist es, dass Städte und Kommunen nach neuen Möglichkeiten suchen, wo Menschen ohne Wohnung untergebracht werden können. Ideengebend hat sich hier die Unterbringung nach Deutschland geflüchteter Menschen gezeigt, die im Laufe der „Flüchtlingskrise“ 2016 mehr und mehr in Containerdörfern untergebracht wurden. So entschied sich die Stadt Bonn im Herbst 2016 einen freien Wohncontainer für ein Ehepaar zu nutzen, welches in der gesamten Stadt keinen Wohnraum mehr fand, nachdem sie ihre alte Wohnung aufgrund steigender Miete hatten verlassen müssen. In Lüneburg nutzte die Stadt freiwerdende Container, um dort günstige Student_innenwohnungen einzurichten.

5. Was kommen kann

Auch bezüglich des Wohnens lässt sich die Zukunft nicht voraussagen. Gerade bezüglich des Immobilienhandels wird immer wieder von einer möglichen Blase gesprochen. Falls eine solche Blase platzen würde, sind die Folgen nicht absehbar. Dass sich die Situation armer und verarmender Menschen dadurch verbessert, scheint zunächst jedoch wenig wahrscheinlich. Zu vermuten ist, dass der Kampf gegen die Armut als Kampf gegen die Armen eher befeuert werden würde. Denn dass es Armut gibt und das diese eher zu- als abnimmt, ist im gesellschaftlichen Bewusstsein angekommen (auch wenn es immer wieder Stimmen gibt, die das Gegenteil behaupten), führt jedoch zu nichts Gutem. Vielmehr scheint in der Gesellschaft das Interesse, die Hässlichkeit des Lebens, und dazu gehört eben auch die Armut, nach dem Motto aus den Augen aus dem Sinn, aus bestimmten Teilen der Gesellschaft hinauszudrängen und diese Teile mit hochgerüsteter Technik zu verteidigen.

Was heutzutage noch als Gated Community relativ kleine Bereiche abschottet, deutet sich perspektivisch für ganze Stadtteile oder sogar Städte an, in welchen die Reichen und Schönen in einer smarten Luxuswelt leben, immer in der Angst vor dem sozialen und wirtschaftlichen Abstieg, welcher sich dann in der Verbannung in den Bereich jenseits des Gates äussert. Dass es für den Aufenthalt in den Bereichen des Wohlstands nicht nur einer ökonomischen Basis, sondern auch eines wohlgeformten sozialen Verhaltens bedarf, zu denen neuerdings auch das Verleihen, Teilen und Verschenken gehört, wie auch ein stetiges Bemühen und Kontrollieren freundlicher Umgangsformen, ist in den Hip-Vierteln der Grossstädte zu beobachten. Die Kontrolle des Verhaltens bekommt dabei Auftrieb durch die moderne Technik, welche durch Kameraüberwachung das Verhalten als sozial adäquat oder verdächtig bewertet.

Ein Aufstieg aus einem zukünftigen Armutsviertel in eines der smarten, hippen und schönen Viertel dürfte mit fortschreitender Zeit beim Ausbleiben gesellschaftlicher Grossumbrüche immer unwahrscheinlicher werden. Welchen Weg es zum Aufstieg gibt, scheint die Gesellschaft schon jetzt vorzubereiten: Den Weg, durch Selbsterniedrigung zum Amüsement der anderen beizutragen. Die Verdichtung des Umstandes sozialen Aufstiegt durch Selbstpreisgabe für die Unterhaltung anderer zu erwirken, zeigen jetzt schon die zahlreichen Fernsehformate an, in welchen hoffnungslose Gestalten allerlei Erniedrigungen über sich ergehen lassen, und die auf schauerliche Weise an die Arenaspiele der Antike erinnern. Dass ein gesellschaftliches Erahnen einer solchen Zukunft vorhanden ist, zeigt sich nicht zuletzt in der Popularität moderner Dystopien, in denen die Motive vom isolierten Ultrawohlstands gegenüber weiten Teilen des Elends auftauchen.

6. Synergien

Die Wohnsituation ist kein isoliertes Phänomen, auch wenn sie hier weitestgehend als solches betrachtet wurde. Vielmehr ist es so, dass sich die hier geschilderten Prozesse durch anderweitige Entwicklungen bedingen. Der Wunsch, das Elend aus dem eigenen Wohn- und Lebensumfeld herauszubauen, kann nur zustande kommen, wenn es überhaupt Elend gibt, und steigt in dem Masse, wie das Elend. Eine umfassende Analyse kann hier nicht geleistet werden, doch sei kurz angedeutet, in welchem Masse die Isolation der Wohlständigen in schönen Gegenden durch andere Entwicklungen befeuert wird: Wir haben auf der einen Seite eine stetig wachsende Weltbevölkerung, die wohl bald die 8 Milliarden Marke nehmen wird.

Wir haben des Weiteren eine immer mehr Ressourcen verschlingende Weltordnung, die zu einer Verwüstung (Im Wort- und im übertragenen Sinne) der Welt führt, und einer schwindeden Möglichkeit, die Erde zu bewohnen. Der Klimawandel trägt ebenfalls massiv dazu bei, dass sich die Weltkarte neu gestaltet: Perspektivisch ist mit noch grösseren „Fluchtbewegungen“ zu rechnen als bisher. Daneben besitzen immer weniger Menschen immer mehr des weltweiten Wohlstandes. Unter diesen Bedingungen ist es moralisch gesehen kaum Vertretbar, sein Leben im Wohlstand weiterzuführen als wäre nichts. Sich vom Elend zu isolieren hat für diejenigen, die davon profitieren, damit auch noch eine psychologische Motivation.

7. Für die Praxis

Einmal mehr stellt sich die Frage, ob es eine sinnvolle Praxis geben kann, sich mit diesem Themengebiet zu beschäftigen, wie es in etwa in den Stadt für Alle oder Zwangsräumung-Verhindern-Kampagnen stattfindet. Diese Frage kann hier nicht beantwortet werden, doch war es zumindest nicht anliegen dieses Textes, auf eine solche Kampagne hinzuarbeiten. In einem Teilbereich der problematischen Gesamtlage einen relevanten Fortschritt zu erzielen, scheint schlichtweg die Zeit zu fehlen, mal ganz von der Frage abgesehen, ob ein solches Stemmen gegen die gesellschaftliche Transformation überhaupt gelingen kann.

Sicher ist: Die Wohnsituation und der Umbau der Städte ist nur ein Teil des Niedergangs der bisherigen Gesellschaftsordnung, und zwar in einem Sinne, wie wir ihn uns nicht wünschen. Die Synergie der Zerfallserscheinungen ist kaum fassbar. Demgegenüber scheint es vielmehr wichtig, zu begreifen, dass ein gutes Ende nicht in Sicht ist.

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