Organisieren und vernetzen – Perspektiven über den Frauen*streik 2019 hinaus Perspektiven über den Frauen*streik 2019 hinaus

Gesellschaft

Jetzt brodelt es also auch in der Schweiz. Die Vorbereitungen für einen Frauen*streik 2019 nehmen Fahrt auf.

International Women's Day, New York, März 2018.
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International Women's Day, New York, März 2018. Foto: Bruce Emmerling (CC BY-SA 4.0 cropped - colored)

14. Dezember 2018
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Auch wenn hierzulande am 14. Juni und nicht wie international am 8. März gestreikt wird, lohnt sich ein Blick in die Geschichte und über die Landesgrenzen hinaus. Welche Möglichkeiten bietet das Kampfmittel Streik aus feministischer Perspektive?

Am 8. März dieses Jahres gingen Frauen* in 177 Ländern auf die Strassen. Doch am Internationalen Frauen*kampftag wird nicht nur demonstriert, sondern immer häufiger auch gestreikt. Nun laufen auch in der Schweiz die Vorbereitungen für einen Frauen*streik 2019. Überraschend kam dies nicht. Denn bereits am Frauenkongress des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds (SGB) im Januar forderten feministische Gewerkschafterinnen aus der Romandie erstmals einen Frauen*streik 2019.

Mittlerweile wurden im ganzen Land Streikkomitees gegründet und Anfang November fand die erste nationale Koordinationssitzung statt (Webseite überparteiliches Frauen*netzwerk aller Regionen zur Koordination des Frauen*streiks 2019). Der SGB entscheidet am 1. Dezember über seine Unterstützung eines Frauen*streiks. Die Wahrscheinlichkeit ist gross, dass der Kongress dem Antrag zustimmt. Indes mahlen die Mühlen der Gewerkschaften...

Frauen* streik(t)en – auch ohne Gewerkschaften

Doch was passiert, wenn der SGB den Frauen*streik – wider Erwarten – nicht mitträgt? Ziehen sich die Gewerkschaftssekretärinnen dann zurück? Und fällt der Frauen*streik somit ins Wasser? Der Streik findet statt, mit oder ohne Unterstützung des SGB – dieser Ansicht sind auch etliche Gewerkschafterinnen. Doch wie wichtig ist eine gewerkschaftliche Unterstützung für einen Frauen*streik tatsächlich? Für viele ist die Zustimmung des SGB eine entscheidende Voraussetzung, bei einigen Genossen streikt die Imaginationskraft gar gänzlich, wenn es um einen Frauen*streik ohne gewerkschaftliche Beteiligung geht: «Einen Streik ohne Gewerkschaften zu organisieren, geht schlicht weg nicht». Diese Aussage wird nicht nur durch die Praxis der wilden Streiks widerlegt, auch im Hinblick auf feministische Streiks ist dies absurd.

Seit Ende des 19. Jahrhunderts kam es in der Schweiz regelmässig zu Streiks von Frauen*. Dabei legten hauptsächlich die Arbeiterinnen – und häufig die noch schlechter bezahlten Italienerinnen – der Textil-, Bekleidungs- und Tabakindustrie ihre Arbeit nieder. Es kam zu wochenlangen Streiks, teilweise mit mehreren Hundert Arbeiterinnen. Sie kämpften für Lohngleichheit und das Recht, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Die Streiks waren meist spontane Reaktionen auf Lohnreduktionen oder Entlassungen.

Die Arbeiterinnen reagierten direkt auf ihr Arbeitsbedingungen, die noch mieser waren, als jene der Männer. Somit ignorierten die Streikenden oftmals die Richtungskämpfe der Arbeiter*innenbewegung und entzogen sich gewissermassen der Kontrolle der Gewerkschaftssekretäre, die wilde Streiks verhindern wollten. Während des Ersten Weltkriegs und der Zwischenkriegszeit weiteten Frauen* ihre Protestformen aus, so traten sie vermehrt auch als Hausfrauen und Konsumentinnen auf, die überteuerte Lebensmittel boykottierten oder nur den eigens gewählten Preis bezahlten.

Dies geschah etwa im Vorfeld des Landesstreiks 1918. So kam es seit 1917 zu Markt- und Hungerdemonstrationen, bei denen die Frauen gegen die überrissenen Preise und die Teuerung protestierten. Dabei wurden schon mal die Marktkörbe umgestossen oder die Arbeiterinnen übernahmen den Verkauf der Kartoffeln von den Bäuerinnen gleich selbst. Diese umtriebige Kampfbereitschaft der Arbeiterinnen wurde durch das konsensorientierte Klima des Zweiten Weltkriegs sowie die vertraglich festgelegte Friedenspflicht der Gewerkschaften zunehmend zurückgedrängt. Lohnverhandlungen wurden fortan von den tariffähigen Gewerkschaften geführt und in der Gewerkschaftsbürokratie hatten die Frauen* weitestgehend keinen Platz.

Auch in der Schweiz entdeckten die Arbeiterinnen den Streik also schon früh als wirkungsmächtiges proletarisches Kampfmittel. Während die Frauen* zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Gewerkschaften mit ihren wilden Streiks provozierten, so fordern die feministischen Streiks in der neuesten Geschichte das Streikrecht heraus. Denn gemäss der heutigen Rechtsprechung des Bundesgerichts ist die Unterstützung einer tariffähigen Gewerkschaft Voraussetzung für einen rechtmässigen Streik; ebenfalls müssen die Streikforderungen in einem Gesamtarbeitsvertrags (GAV) regelbar sein.

Feministische Streiks sind aber per se politische Streiks – es werden Forderungen an die Gesellschaft und den Staat gestellt – und deshalb streng genommen widerrechtlich. Dies war auch im Falle des Frauen*streiks vom 14. Juni 1991 in der Schweiz nicht anders. 10 Jahre nach der Verankerung des Gleichstellungsartikels in der Verfassung forderten die Frauen* ein Gleichstellungsgesetz, um Ansprüche auch tatsächlich juristisch durchsetzen zu können; dieses trat 1996 in Kraft. Und auch der kommende Streik 2019 wird ein politischer Streik sein. Damals wie heute können die Gewerkschaften deshalb keinen wasserdichten juristischen Schutz vor allfälligen Entlassungen bieten. Nicht das Gesetz, sondern nur der öffentliche Druck und die drohende Blossstellung der Arbeitgebenden kann streikende Frauen* vor Entlassungen schützen. Das Verbot politischer Streiks ist indes nicht unumstritten.

In Italien und Frankreich etwa sind politische Streiks legal und immer wieder Mittel politischer Auseinandersetzungen. Deutschland kennt ähnliche Regelungen wie die Schweiz, doch findet eine zögerliche Debatte darüber statt, ob das Verbot internationalen Abkommen widerspreche. Marxist*innen ihrerseits verweisen auf die Verflechtung von Politik und Ökonomie. Auch wenn nach klassischem Streikverständnis ein Arbeitskampf mit politischen Forderungen im Arbeitgeber den falschen Adressaten treffe, so können Arbeitgeber*innen und Verbände im Kapitalismus eben doch Einfluss und Druck auf die Politik ausüben. Dies wussten auch die streikenden Arbeiter*innen während des Landesstreiks 1918. So umfassten die Forderungen des Oltener Aktionskomitees (OAK) ebenfalls politische Forderungen an den Staat: Das Frauenstimm- und Wahlrecht, die Forderung nach einer Alters- und Invalidenversicherung u.a. Wird es dem Frauen*streik 100 Jahre später gelingen, dem politischen Streik zu neuer Popularität zu verhelfen?

Feministische Streiks bewegen sich aber noch in weiterer Hinsicht ausserhalb eines klassischen Streikverständnisses. So wies die spanische Frauen*bewegung oder auch die International Wages for Housework Campaign bereits in den 1970er Jahren darauf hin, dass die Generalstreiks die unbezahlte – meist von Frauen* verrichtete – Arbeit nicht berücksichtigten und daher ihrem Anspruch nicht gerecht würden. Während diese Kritik damals weitgehend unbeachtet blieb, so ist die Ausweitung des Arbeitsbegriffs heute umso zentraler für das Verständnis der Frauen*streiks.

Bei feministischen Streiks wird ausdrücklich dazu aufgerufen, neben der Lohnarbeit auch die unbezahlte Sorgearbeit niederzulegen. Hinzu kommt, dass reguläre und gesicherte Lohnarbeitsverhältnisse zunehmend seltener sind und daher zwangsläufig die vielfältigen Prekarisierungen der Arbeiter*innen thematisiert werden. Der klassische Streik in einem Betrieb wird ersetzt durch einen Streik unterschiedlichster Betroffener mit anschlussfähigen Aktionsformen an Arbeitsplätzen sowie im öffentlichen und privaten Raum: Frauen* streiken als Lohnabhängige, Erwerbslose, Hausfrauen* und Mütter; es kommt zu 24-stündigen Streiks, Bummelstreiks, Dienst-nach-Vorschrift, verlängerten Kaffee- oder Mittagspausen, Sitzungen und Veranstaltungen am Arbeitsplatz und im öffentlichen Raum, Strassenblockaden, Platzkundgebungen und Demonstrationen.

International: Millionen von Frauen* streiken

Die Frauen*streiks am Internationalen Frauen*kampftag in Spanien, den USA, Polen und Argentinien sind Beispiele für eine solche Ausweitung des Arbeits- und Streikbegriffs. Sie waren aber auch beeindruckende Mobilisierungen weitestgehend ohne die etablierten Gewerkschaften: Die aufsehenerregenden Frauen*streiks am 8. März 2018 in Spanien und Argentinien etwa entstanden aus einer vielfältigen Frauen*bewegung heraus.

In Spanien streikten und demonstrierten dieses Jahr knapp 6 Millionen Frauen* unter dem Motto «Si paramos todas, paramos todo» («Wenn wir stillstehen, steht alles still»). Damit war der von der Frauen*bewegung angestossene Streik die grösste Mobilisierung von Frauen* in der Geschichte des spanischen Staats. Geplant war ein 24-stündiger feministischer Generalstreik, wobei dazu aufgerufen wurde, die Sorge- und Erziehungsarbeit, den Konsum sowie die Erwerbsarbeit zu verweigern «¡Vivan la huelga de cuidados, de consumo, laboral y educativa! ¡Viva la huelga feminista!».

Kleinere, radikalere Gewerkschaften schlossen sich dem Streikaufruf an, so etwa die anarchosyndikalistische Confederación Nacional del Trabajo (CNT) und die Confederación General del Trabajo (CGT) sowie das Syndikat der Basiskommissionen (Co.Bas). Die beiden grössten Gewerkschaften, die sozialdemokratische Unión General de Trabajadores (UGT) und die Comisiones Obreras (CCOO) konnten sich lediglich zu einem zweistündigen Streik vormittags und nachmittags durchringen. Dieser zweistündige Streik war dann auch am weitesten verbreitet. Die unzähligen Frauen*, die den ganzen Tag streikten und die vielen Neueintritte in die «Minderheitsgewerkschaften» sind jedoch Ausdruck davon, dass viele Frauen* einen radikaleren Protest fordern.

Auch in Argentinien ging dieses Jahr allein in Buenos Aires eine Million Frauen* auf die Strasse. Diese überwältigende Beteiligung ist die Folge einer erstarkenden feministischen Bewegung in Argentinien (und weiten Teilen Lateinamerikas). So gründete sich 2015 als Antwort auf die zunehmende Anzahl von Feminiziden und dem besonders grausamen Mord an der jungen Frau Lucía Pérez die Bewegung Ni una menos. Bereits am 19. Oktober 2016 legten dann Tausende Frauen* ihre Arbeit nieder aus Protest gegen die Gewalt an Frauen*, die nicht nur in den Frauen*morden, sondern auch in der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung zum Ausdruck kommt. Aus dieser Dynamik entstanden die immer grösser werdenden Demonstrationen und Streiks am 8. März 2017 sowie 2018.

Mittlerweile wird in ganz Lateinamerika und der Karibik zum Internationalen Frauen*streik aufgerufen. Auch in Argentinien ging die Kraft für den 8M von der Frauen*bewegung aus. Die Gewerkschaften mobilisierten ebenfalls, spielten jedoch eine nebensächliche Rolle. Denn in Argentinien herrscht ein enormes Misstrauen gegenüber den grossen und zerstrittenen Gewerkschaften. Allzu oft erweisen sich diese als korrupt, wenig kämpferisch und mit der aktuell rechtskonservativen Regierung paktierend. Hinzu kommen die patriarchalen Gewerkschaftsstrukturen und der Umstand, dass nur gerade 18% der gewerkschaftlichen Ämter mit Frauen* besetzt sind. Die dezentrale und wenig hierarchische feministische Bewegung ermöglichte hingegen eine vielfältige und breite Partizipation an den Protesten und Aktionen.

Feministische Strukturen als Grundlage für eine erfolgreiche Mobilisierung

Im Hinblick auf die beeindruckende Teilnahme an den Frauen*streiks in Spanien und Argentinien gilt zu bedenken, dass die feministischen Kämpfe in beiden Ländern auf eine langjährige Geschichte zurückblicken. So reichen in Spanien die Anfänge der feministischen Infrastruktur bis in die Franco-Diktatur zurück, als sich Frauen* am Kampf gegen den Faschismus beteiligten. Frühes und berühmtestes Beispiel sind die Anarchafeministinnen der Mujeres Libres in den 1930er Jahren, wobei feministische Aktivistinnen bis in die 1970er Jahre im Untergrund kämpften. Während dem Übergang zur Demokratie in den 1980er Jahren erstritt sich die feministische Bewegung dann auf institutionellem Weg das Recht auf Scheidung sowie den Zugang zu Verhütungsmitteln und Abtreibungsmöglichkeiten.

Auch in Argentinien bewegte in den 1970er Jahren die letzte Militärdiktatur etwa die Frauen* der Madres de Plaza de Mayo dazu, auf der Strasse gegen die Ermordung und Folterung politisch Andersdenkender zu protestieren. Dieser (bis heute andauernde) öffentlichkeitswirksame Protest von Frauen* ist als Inspiration und Ermutigung für eine Bewegung nicht zu unterschätzen. So fand in Argentinien 1986 – drei Jahre nach dem offiziellen Übergang zur Demokratie – zum ersten Mal das Nationale Frauen*treffen (Encuentro Nacional de Mujeres) statt, an das mittlerweile jedes Jahr mehrere Zehntausend (und immer mehr jüngere) Frauen* aus allen Landesteilen anreisen. Im Oktober 2018 nahmen 50'000 Frauen* an der selbstorganisierten, offenen Versammlung in der weit entlegenen patagonischen Stadt Trelew teil.

Diversität der Frauen*bewegung als politische Strategie

Beeindruckend an den Nationalen Frauen*treffen in Argentinien ist nicht nur die Anzahl Teilnehmerinnen, sondern auch die vielfältige Vertretung von Frauen* und Organisationen: Es kommen Gewerkschafterinnen, Bäuerinnen, Studentinnen, Politikerinnen, Erwerbslose, Frauen* aus indigenen und afroargentinischen Communities. Entsprechend divers waren auch die Themen der diesjährigen Workshops: Es ging um die Zusammenhänge zwischen Gesundheit und Kapitalismus, sexuelle Identitäten, die zunehmende feminisierte Arbeitslosigkeit, die Rechte indigener Frauen*, die Trennung von Kirche und Staat und natürlich um die Fortsetzung des Kampfs für die Legalisierung von Abtreibungen.

Interessant dabei ist, dass sich die Diversität der anwesenden Frauen* nicht nur in den Themen der Workshops widerspiegelt, sondern auch wie diese verhandelt werden. So hat sich etwa die Debatte um die Legalisierung von Abtreibungen verändert, seitdem vermehrt auch Bewohnerinnen der Armenviertel am Treffen teilnehmen. Seitdem die Frauen* von heimlich durchgeführten Abtreibungen und Todesfällen berichtetet haben, wurde die Menschenrechtsperspektive auf die Legalisierung von Abtreibungen um die Frage der Klassenzugehörigkeit erweitert. Die soziale und räumliche Erweiterung des Feminismus ermöglicht also nicht nur, Inhalte tiefergehend zu analysieren, sondern auch weitere Gewaltformen zu erkennen.

Wie zentral die Vielfalt der Frauen*bewegung als Druckmittel auf Politik und Kapital ist, kommt auch im argentinischen Streikaufruf zum Ausdruck: «Am kommenden 8. März werden wir wieder die Welt aus den Angeln heben. Von den tiefsten Wurzeln unserer Territorien bis zu den Bürogebäuden, werden wir die Strukturen brechen, die uns fesseln. Am 8. März streiken wir, wir stehen still. Frauen, Lesben, Transvestiten und Trans verfolgen das gleiche Ziel und es führt kein Weg zurück. Auf die Feminisierung der Armut antworten wir: Feminisierung der Widerstände! Erneut nehmen wir uns die Strassen am Internationalen Frauenkampftag der Arbeiterinnen. Wenn wir alle stillstehen, bewegt sich die Welt.

Die Arbeiterinnen, unter ihnen die Ärmsten, Indigene, Migrantinnen, Alte, Mädchen, Jugendliche, Zapatistinnen, Kurdinnen, feministische Guerilleras, Schwarze, Geflüchtete, Studentinnen, Inhaftierte, politische Gefangene, Kriminalisierte, Opfer von Menschenhandel und sexueller Ausbeutung, Mütter und diejenigen, die keine Mütter sein wollen, Frauen mit Behinderung, Hausfrauen, Hausangestellte, (Kranken-)Pflegerinnen, Sexarbeiterinnen, Rentnerinnen, Dozentinnen, Krankenschwestern, Ärztinnen, Beamtinnen, Arbeiterinnen der informellen Wirtschaft, Kämpferinnen, Gewerkschafterinnen, Erwerbslose, Prekarisierte, Künstlerinnen, Taxifahrerinnen, Klempnerinnen und eine nicht enden wollende Liste der unterschiedlichsten Frauen: Wir erheben uns von Alaska bis Patagonien.»

Sexismus und kapitalistische Ausbeutung

Die Diversität der Bewegung ist sowohl in praktischer als auch in theoretischer Hinsicht bedeutend. Denn die sexistische Gewalt lässt sich nicht von Rassismus und kapitalistischer Ausbeutung trennen. Neoliberale, autoritäre Politiken sowie Angriffe auf die sexuellen und reproduktiven Rechte treffen migrantische Frauen* besonders hart. Die feminisierte Arbeitslosigkeit und Armut verstärken und unterstützen die patriarchalen Abhängigkeitsverhältnisse. Nicht alle Frauen* sind gleichermassen von der kapitalistischen Konkurrenz, Verwertung und Abwertung betroffen, aber die Ursprünge der Unterdrückung sind die gleichen.

Ein feministischer Streik bietet die Möglichkeit, die kapitalistische Entsolidarisierung zu überwinden. So sind etwa die Nationalen Frauen*treffen in Argentinien eine Praxis, um die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Ausbeutung zu erkennen und die Kämpfe solidarisch zu verbinden. In den letzten Jahren formierte sich daraus ein immer radikalerer und deutlich antikapitalistischer Protest. Auch das Kollektiv Ni una menos schreibt, dass die Frauen* mit dem Instrument des Streiks die ökonomischen Hintergründe patriarchaler Gewalt offenlegen wollen. Und im argentinischen Streikaufruf steht: «Wenn euch unsere Leben nichts wert sind, dann produziert doch ohne uns!»

Damit ist auch die soziale Reproduktionsarbeit gemeint. Dass die patriarchale Gesellschaft die autonome Organisation von Frauen* als Bedrohung wahrnimmt, zeigen einerseits die Zunahme von Verhaftungen und anderen staatlichen Repressionen sowie die sich häufenden tätlichen Angriffe auf Feministinnen in Chile und Argentinien, die an Demonstrationen, oder Häuserbesetzungen teilnahmen oder ein grünes Pro-Abtreibung-Halstuch trugen: Körperliche Gewalt als eine disziplinierende Massnahme, um Kapital und Patriarchat zu verteidigen.

Die unterschiedlichen Arbeits- und Lebensrealitäten der Frauen* sind im Hinblick auf die konkrete Organisation eines Streiks «Fluch und Segen» zugleich. So schlossen sich dem Generalstreik im Jahr 2002 in Spanien auffallend wenig Frauen* und prekär Beschäftigte an. Das Kollektiv Precarias a la Deriva aus Madrid untersuchte anschliessend, weshalb diese den klassischen Streikaufrufen nicht gefolgt waren. Wie in diesem Text bereits erwähnt, muss die Vorstellung von Arbeit und folglich auch von Streik erweitert werden, damit sich prekär Arbeitende ebenfalls angesprochen fühlen. Hinzu kommt, dass prekär beschägtigte Frauen* noch deutlicher gewissen Streikrisiken ausgesetzt sind. Gleichzeitig erfahren sie aber auch drastischer das ganze Spektrum sexistischer Gewalt. In Argentinien haben die Markt- und Strassenverkäuferinnen sowie die Hausangestellten – alle meist im informellen Sektor tätig – in besonders grossem Ausmass am Streik teilgenommen.

Und in der Schweiz?

Die Gewerkschaften in der Schweiz verfügen über die Strukturen und die finanziellen Mittel, im Rahmen des Frauen*streiks Betriebsstreiks aufzugleisen. Und die letzten Wochen haben gezeigt: Die Frauen* wollen streiken. Bis anhin ist es allerdings unbegreiflich ruhig seitens der Gewerkschaften. Im Vorfeld des letzten Frauen*streiks reiste etwa die damalige Gewerkschaftssekretärin Christiane Brunner zwischen Herbst 1990 und Juni 1991 durch die ganze Schweiz. Sie besuchte die regionalen Gewerkschaftssektionen, besprach auf das Berufsfeld abgestimmte Aktionen und verhandelte mit den Arbeitgeber*innen.

Am 14. Juni 1991 streikte dann eine halbe Million Frauen* – weitaus mehr als erwartet. Der Streik stiess international auf grosse Resonanz und inspirierte den Frauen*streik 1994 in Deutschland. Der Mobilisierungserfolg von 1991 bestand aber gerade auch darin, dass sich die Streikdynamik verselbstständigte und Frauen* überall aktiv wurden – die Streikkomitees hatten keinen Überblick oder gar Kontrolle über die Proteste an diesem Tag.

Dennoch wäre es verfehlt, den Erfolg eines feministischen Streiks 2019 an der Zahl der Beteiligten zu messen oder gar den Frauen*streik aus dem Jahr 1991 zahlenmässig toppen zu wollen. Natürlich geht es bei einem Streik auch um eine Demonstration von Stärke, die die Machtverhältnisse angreift. Viel wichtiger ist zu diesem Zeitpunkt jedoch eine Erweiterung und anhaltende Stärkung der feministischen Bewegung – und dabei könnte durchaus von den internationalen Frauen*streiks gelernt werden.

Es kann nicht ewig gleich die Lohngleichheit als Hauptforderung aufgewärmt werden. Natürlich ist Lohnungleichheit eine Frechheit. Aber es muss darüber hinaus der Mythos durchbrochen werden, in der Schweiz sei die Geschlechtergerechtigkeit bis auf die Lohngleichheit und die Vertretung von Frauen* in Kaderpositionen bereits erreicht. Es geht nicht nur um die Lohnarbeitsverhältnisse, sondern um die Arbeitsbedingungen generell und die geschlechtliche Arbeitsteilung mit ihrer unsichtbaren und unbezahlten Arbeit.

Es muss thematisiert werden, welche Auswirkungen eine ökonomische Ungleichheit auf das tatsächliche Geschlechterverhältnis hat. Es muss verstanden werden, wie die sexualisierte Gewalt und die kapitalistischen Ausbeutungsmechanismen zusammenhängen und sich bedingen, sodass niemand mehr auf die Idee kommt, die «Aufwertung der sozialen Reproduktionsarbeit», oder den «Kampf gegen sexuelle Diskriminierung» als «klassisch reformistische» Forderungen zu verstehen. Feministische Themen müssen in ihre Zusammenhänge gesetzt werden, tiefergehende Erklärungen sind gefordert. Und da ist die radikale Linke gefragt. Denn die institutionelle Einbindung grosser Teile der Neuen Frauen*bewegung hat diese gezähmt oder gänzlich verstummen lassen. Und auch die Positionen der bürgerlichen Frauen*, die sich um Teilhabe und Aufstieg bemühen, sind mehr als uninteressant.

Hinzu kommt, dass diese gegenüber einem Frauen*streik sowieso «skeptisch» sind und lieber mit Frauenversteher Johann Schneider-Ammann dinieren und erklären, wie sie «erfolgreichen Frauen der Wirtschaft den Quereinstieg in die Politik ab 50» ermöglichen wollen. Daher liegt es an den feministischen Strukturen, jetzt die entstehende Dynamik des Frauen*streiks aufzugreifen. Sich regional organisieren und vernetzen; Frauen* einbinden, die bis anhin nicht erreicht werden konnten und gemeinsam so vielfältige Aktionen und Proteste aufbauen, wie nur möglich. Denn Frauen*streik heisst: Die feministische Bewegung über den Streik 2019 hinaus stärken – Solidarität und Widerstand!

Bea Virginia
ajour-mag.ch