Die EU und die Roma „Redundant population“

Gesellschaft

Die beiden Fälle der von Frankreich in den Kosovo abgeschobenen Familie Dibrani sowie des blonden Mädchens Maria in Griechenland haben wieder einmal den Blick der Medien auf die Lage der Roma in Europa gerichtet.

Roma Camp in Toulouse, Frankreich.
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Roma Camp in Toulouse, Frankreich. Foto: Antoine Blondin (CC BY-SA 3.0 unported - cropped)

27. November 2013
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Die EU hat dabei des Problem der ehemals sozialistischen Staaten geerbt, ob diese Menschen als eigene Volksgruppe zu betrachten sind oder als Lumpenproletariat, Bodensatz der Gesellschaft, dessen man sich möglichst gründlich entledigen muss. In den ehemals sozialistischen Staaten war seinerzeit die „Zigeunerfrage“ gelöst worden: sie wurden zur Sesshaftigkeit gezwungen, in Plattenbauten gesteckt und mit – oft eher unangenehmen – Arbeitsplätzen versorgt. Die Marktwirtschaft hat diese forcierte Integration zunichte gemacht und die Roma als Arbeitskräfte ausgespien. Da erweist es sich dann als praktisch, sie wieder zu einer bestimmten Volksgruppe, „Rasse“ zu erklären, die von Haus aus arbeitsscheu und integrationsunwillig ist.

Das löst das Problem allerdings nur teilweise. Sie lösen sich durch diese Definition ja nicht in Luft auf, und ihre Anwesenheit verlangt in der einen oder anderen Form behördliches Handeln. Die EU-​Behörden betreten hier juristisches Neuland und schaffen Präzedenzfälle.

In der EU mit mehr als 26 Millionen Arbeitslosen wächst die überflüssige Bevölkerung in einem fort an. Und zwar sind es nicht die ständig strapazierten Flüchtlinge und Asylanten, die diese überflüssige Bevölkerung ausmachen, sondern die eigenen EU-​Bürger, die herumlungern und den Staaten auf der Tasche liegen, weil das Kapital sie nicht brauchen kann.

Sämtliche EU-​Staaten bemühen sich inzwischen, diese Belastung ihrer sozialen Netze auf andere Staaten abzuwälzen. Die Drangsalisierung der Hartz IV-​Bezieher in Deutschland genauso wie die Kriminalisierung der Obdachlosigkeit in Ungarn oder die Bettelverbote in diversen Ländern dienen dem gemeinsamen, aber gegeneinander gerichteten Ziel, die eigenen Überflüssigen den Nachbarstaaten auf den Hals zu hetzen. Die Abschiebung ist zu einem integralen Bestandteil der EU-​Sozialpolitik geworden.

Das stösst jedoch innerhalb der EU auf gewisse rechtliche Schranken. Die Abschiebung der Roma aus Frankreich unter der Regierung Sarkozy hatte den Haken, dass Rumänien Teil der EU ist und seine Bürger sich daher dem Prinzip nach überall in der EU niederlassen dürfen. Diese Abschiebungen verstiessen daher gegen EU-​Recht. Deshalb hat die Regierung Berlusconi in Italien gleich auf die ohnehin kostspieligen Abschiebungen verzichtet und mit Polizei, Mafia und Medien gezielten Terror betrieben, um die Roma zum „freiwilligen“ Verlassen Italiens zu bewegen.

Die damals aus Italien geflüchteten Dibranis waren Staatenlose. Der Vater hatte vor mehr als 2 Jahrzehnten Jugoslawien verlassen – einen Staat, den es nicht mehr gibt. Die Mutter und die 6 Kinder waren als Staatenlose geboren worden und hatten es nie geschafft, diesen Status abzustreifen. Um sie abschieben zu können, musste erst ein Staat gefunden werden, dem sie zugeordnet werden konnten. Dieser Staat ist das staatsähnliche Gebilde Kosovo, das weder nach innen noch nach aussen Souveränität besitzt und sich daher seine Bürger nicht aussuchen kann: Sie werden ihm zugeteilt.

Man sieht, wie praktisch dieser von USA, EU, NATO und UNO geschaffene und aufrechterhaltene gescheiterte Staat ist: Er liegt ausserhalb der EU und kann diesen Abschiebungen nichts entgegensetzen. Das Aufnahmepotential ist jedoch beachtlich. Die auf zwei Millionen geschätzte Bevölkerung kann sich zwar jetzt schon nicht ernähren und lebt von Auslandsüberweisungen, Hilfsprogrammen und Drogen-​, Menschen-​ und Waffenhandel. Die kosovarische „Diaspora“ wird auf weitere 2 Millionen geschätzt. Der Einfallsreichtum der EU-​Behörden ist also gefragt, um irgendwelchen Bevölkerungsteilen, die man loswerden will, eine kosovarische Staatszugehörigkeit umzuhängen und sie in dieses wehrlose Aufnahmegefäss für Überflüssige hineinzustopfen.

Im Falle der griechischen Roma-​Familie, die ein bulgarisches Roma-​Kind adoptiert hat, findet ein weiteres zukunftsweisendes Verfahren statt. Die Adoption wird kriminalisiert und als Menschenhandel ausgelegt, das Kind behördlich verwahrt, die Eltern verhaftet. Hiermit eröffnet sich die Möglichkeit, den Roma mit dem – in der Geschichte immer wieder praktizierten – Wegnehmen ihrer Kinder zu drohen und sie dadurch zum „freiwilligen“ Verlassen sogar desjenigen Landes zu veranlassen, in dem sie Staatsbürger sind.

Die solchermassen aufgenötigte nomadische Lebensweise wird dann wieder als Schmarotzertum, Besitzstörung und rassische Minderwertigkeit verfolgt werden, und die Hatz gegen die Überflüssigen geht in die nächste Runde.

Amelie Lanier