Über den Bombenanschlag auf den Manschaftsbus des BVB Der „beruhigende“ Terror des Geldes

Gesellschaft

26. Juni 2017

Am 11. April diesen Jahres wurde in Dortmund ein Bombenanschlag auf den vollbesetzten Mannschaftsbus des Bundesligavereins Borussia Dortmund (BVB) verübt. Drei mit Metallstücken versehene Sprengsätze, die vor dem Hotel der Spieler deponiert waren, explodierten, kurz nachdem sämtliche Mannschaftsmitglieder ihre Plätze eingenommen hatten.

Vereinsbus des BVB 09 bis zum Ende der Saison 20092010.
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Vereinsbus des BVB 09 bis zum Ende der Saison 20092010. Foto: /Guandalug (CC BY-SA 3.0 cropped)

26. Juni 2017
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Der Anschlag verlief relativ glimpflich, denn verletzt wurden lediglich ein Spieler und ein Polizist. Nach der Tat gingen die Ermittler zunächst von einem extremistischen Hintergrund aus. Ein Bekennerschreiben, das ein islamistisches Motiv nahelegen sollte, erwies sich jedoch rasch als Täuschungsmanöver. Anschliessend geriet die rechtsradikale Szene ins Visier der Ermittler, was sich jedoch ebenfalls als Fehlanzeige herausstellte. Auch die letzte in Erwägung gezogene Möglichkeit, wonach es sich um die Tat eines verrückt gewordenen Fussballfans handeln sollte, schied schliesslich aus. Auf die richtige Spur führten letztlich auffällige Börsengeschäfte mit Optionen auf die Aktien der betroffenen Mannschaft.

Dazu muss man wissen, dass der BVB der einzige deutsche Fussballverein ist, der als Aktiengesellschaft notiert ist. Ein Käufer hatte auffällig auf eine riesige Menge an Optionsscheinen gesetzt, die nur dann einen Gewinn versprachen, wenn es zu einem enormen Kursverlust der BVB-Aktien käme. Dieser sollte offenbar durch den Anschlag ausgelöst werden. Da gesunde und leistungsfähige Spieler den „Vermögenskern“ eines Fussballvereins darstellen, bestand der Plan des Attentäters darin, möglichst viele von ihnen schwer zu verletzen oder gar zu töten.

Der Täter hatte schon immer vom grossen Geld geträumt. Bis zu seinem Bombenanschlag verlief sein Leben innerhalb dessen, was man für gewöhnlich als „geordnete Bahn“ bezeichnet: gute Schulnoten, eine abgeschlossene Lehre und ein sicherer Arbeitsplatz waren vorhanden. All das reichte jedoch nicht aus, den „Traum vom grossen Geld“ zu erfüllen. Nachdem einige Versuche mit Sportwetten gescheitert waren, beschloss er, dem Glück entschieden nachzuhelfen. Er mietete sich ein Zimmer im Dortmunder Mannschaftshotel mit Aussicht auf genau jene Stelle, an welcher der Bus abfahren sollte. Dort platzierte er seine drei Bomben und zündete sie zu gegebener Zeit vom Zimmerfenster aus. Zuvor hatte er Schulden in Höhe von 79.000 Euro aufgenommen, mit denen er insgesamt 15.000 Aktienoptionsscheine finanzierte, die auf einen fallenden Kurs der BVB-Aktie setzten. Wäre sein Plan aufgegangen, dann hätte er damit Millionen einnehmen können.

Bei den betreffenden Wertpapieren handelte es sich um so genannte Put-Optionen. Der Inhaber solcher Scheine kann eine bestimmte Menge vorher festgelegter Aktien an einem festgelegten Zeitpunkt zu einem fix vereinbarten Preis verkaufen. Dafür muss man allerdings eine recht hohe Prämie entrichten. Solche Optionsscheine haben nur dann einen Sinn, wenn der tatsächliche Preis zum vereinbarten Zeitpunkt niedriger liegt als der von ihnen garantierte. Ursprünglich stammt dieses Konzept aus der Landwirtschaft und diente dazu, den Landwirten bestimmte Preise für ihre künftigen Erzeugnisse zu garantieren; dadurch gewannen sie Planungssicherheit.

Heute gibt es Optionsscheine für alles Mögliche. Nicht nur für Aktien und landwirtschaftliche Produkte, sondern beispielsweise auch für Bodenschätze, Fremdwährungen und viele andere Dinge. Um Optionsscheine zu erwerben, muss man die jeweilige Ware gar nicht besitzen oder herstellen. Man kann sie auch einfach so kaufen. In diesem Fall geht man eine Wette auf eine künftige Preisdifferenz ein. Liegt dann der künftige Marktwert des betreffenden Produkts niedriger als in den Scheinen angegeben, kauft man die entsprechende Menge zum niedrigen Marktpreis auf und verkauft sie sofort wieder zum höherem Garantiepreis der Optionsscheine. Das geht an der Börse blitzschnell, ohne dass man die Ware jemals zu Gesicht bekommt.

Auf diese Weise können durch Preisdifferenzen enorme Gewinne gemacht werden; wenn der Marktpreis jedoch nicht unter dem garantierten Preis liegt, dann sind die Optionsscheine völlig wertlos und man verliert sämtliches Geld, das man zuvor für sie bezahlt hat. Im Fall des Dortmunder Attentäters war der angerichtete Schaden nicht gross genug. Zwar sank die Dortmunder Aktie nach der Tat um 5,5 Prozent, damit lag sie aber immer noch über dem garantierten Einkaufspreis der betreffenden Optionsscheine. Der Täter hätte wohl mehr Spieler verletzen müssen. Dann wäre ein dramatischer Kurssturz der BVB-Aktien unvermeidlich gewesen.

Das Motiv für den Anschlag war also schlichte Geldgier. Dass jemand in Tötungs- oder zumindest Verletzungsabsicht Bomben zündet, um sich an der Börse zu bereichern, auf diese Idee war niemand gekommen. Es passte nicht in das Weltbild der Ermittler. Nun kann es den Opfern eines Anschlags eigentlich egal sein, aus welchen Gründen sie um ihr Leben oder ihre Gesundheit gebracht werden. Von daher war die allgemeine Reaktion auf das wahre Motiv des Täters sehr befremdlich. Statt eines allgemeinen Entsetzens über die womöglich tödlichen Konsequenzen der Marktmechanismen folgte nämlich allgemeines Aufatmen. Die Mittelbayerische Zeitung konnte tatsächlich „beruhigende Botschaften“ in der Tatsache finden, dass der Täter von Dortmund weder Mitglied des IS noch Terrorist war, sondern lediglich von Geldgier angetrieben wurde. Das sei zwar „schlimm, aber dennoch beruhigend“. Die Badische Zeitung titelte mit der Überschrift „Aufatmen erlaubt“ und war froh, dass es sich lediglich um einen „gewöhnlichen Verbrecher handelte“.

Zur gleichen Zeit, zu der das wahre Motiv des Dortmunder Attentäters offenkundig wurde, hatte übrigens ein Unbekannter in Konstanz etliche 20- und 50-Euro-Scheine verschenkt, die er in Briefkästen deponierte oder unter Scheibenwischer klemmte. Seine Identität ist bis heute ungeklärt. Das wiederum versetzte viele Menschen in äusserste Unruhe. Offenbar ist es für so manchen Zeitgenossen nachvollziehbarer, wenn einer der Logik des Geldes folgt und sogar bereit ist, dafür über Leichen zu gehen, als wenn jemand Geld ohne ersichtlichen Grund an Unbekannte verschenkt.

Peter Samol
streifzuege.org