Anmerkungen aus ökokommunistischer Sicht Auf zum gemeinen Uneigentum?

Gesellschaft

Am Keimform-Blog schätze ich neben Berichten und Reflexionen über Open Source oder Peer-to-Peer-Projekten Zeichen ernsthaften Nachdenkens über Kommunismus.

Auf zum gemeinen Uneigentum?.
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Auf zum gemeinen Uneigentum?. Foto: August Brill (CC BY 2.0 cropped)

2. Mai 2014
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Korrektur
Ganz unutopistisch sind reale Bewegungen ins Visier genommen, die als Keimformen eines kommunistischen Füreinanders identifiziert werden. Allerdings eines mit „C“ geschriebenen Kommunismus, der vom Begriff der „Commons“ abgeleitet ist bzw. vom „Commoning“. Denn Commons oder Allmendegüter, so wird hier zurecht betont, sind keine Dinge, deren Natureigenschaft es ist, für alle da zu sein. Commons werden erst durch das Commoning Realität. Und die existiert, insoweit die Verarbeitung, Verwendung, Pflege, Wiederherstellung usw. von Ressourcen eine tatsächlich gemeinsam zu verantwortende Angelegenheit aller ist.

Das unterscheidet sich insoweit nicht von meinem Verständnis eines (öko-) kommunistischen Füreinanders (oekohumanismus.wordpress.com/about). Nur suche ich dahin gehende Entwicklungspotenziale nicht allein in Sphären eines bereits verwirklichten „Commoning“, wo die Formen des menschlichen Füreinander-Produzierens bereits nahezu kommunistische (commonistische) sind. Bei aller Sympathie für die rasante Entwicklung der Commonsdebatten und -projekte, sehe ich den notwendigen grossen Formwandel doch eher „traditionsmarxistisch“ als Ergebnis von Emanzipationsprozessen, die sich zunächst weitgehend innerhalb der alten (kapitalistischen) Formen menschlicher Existenzsicherung und Bereicherung abspielen. Ohne ausreichende Erfolge im Kampf um deren Zivilisierung (und Ökologisierung) könnte der nötige grosse Formwandel in Richtung eines weltgesellschaftlichen Commoning weder in hinreichender Breite noch in hinreichend zivilisierter (bzw. ökologisierter) Weise geschehen. Ein sozialistisches Projekt kann zunächst nicht mehr als die „Kleinigkeit“ leisten, die Entwicklung der zum (öko-) kommunistischen Weltverkehr befähigenden Möglichkeiten und Bedürfnisse zum weltgeschichtlich vorherrschenden Trend zu machen. Selbst eine derartig gepolte und aktive Weltgesellschaft wäre nicht auf Anhieb in der Lage, ihre gesamten Produktionsbeziehungen per (umwelt-) bewusstem globalen Commoning zu gestalten.

Dies scheint mein zentraler Dissens zum Ansatz zu sein, wie er im Keimform-Blog zum Ausdruck kommt. Wenn etwa Stefan Meretz mit Blick auf die Mängel des „realsozialistischen“ Experiments behauptet, dass eine neue Produktionsweise nur als neue Produktionsweise in die Welt kommen könne und sich nicht auf politischem Wege in die Welt setzen lasse (keimform.de/2012/vortrag-commonismus/, 84. Sek.) so kann ich darüber nur staunen. Das scheint von der Annahme auszugehen, dass sich selbst regulierende Projekte des freiwilligen Engagements, wie sie sich auf Grundlage der überschäumenden Produktivität des heutigen High-Tech-Kapitalismus jetzt überall entwickeln, eine so starke Eigendynamik und zivilisatorische Qualität entfalten könnten, dass sie Staat und Markt mitsamt all dem grünen „Reformkrempel“ einfach umschiffen und in den Hafen einer „befreiten Gesellschaft“ einlaufen könnten. Und dank dieses genialen Manövers der Weltgeschichte wären dann zugleich alle hässlichen Seiten erlebter Transformationsversuche fröhlich umschifft. Meine Sorge: Illusionen können emanzipationsproduktiv sein, sind aber auch stets im Spiel, wenn aus einem Gut-Gemeinten ein Schlecht-Gelaufen wird.

Man darf und man sollte á la Marx davon ausgehen, dass Geld, bürgerliches Recht usw., vielleicht auch die parlamentarische Demokratie im weiteren Verlaufe einer sozialistischen Übergangsperiode durch historisch fortschrittlichere Mittel der Vergesellschaftung abgelöst werden. Die müssten sich aber zuverlässig als im Weltmassstab taugliche Mittel erweisen können, das Mehr an Mitmenschlichkeit, Wissen, Überblick und ökologische Vernunft zu ermöglichen, das die Globalisierten dieser Erde in die Lage versetzt, sich die (welt-) gemeinschaftliche Bewältigung der grossen Herausforderungen ihrer Zeit zur höchstpersönlich eigenen Aufgabe zu machen. Solange aber die neuen Formen der Vermittlung menschlicher Bedürfnisse und Fähigkeiten mit den zu ihrer Befriedigung nötigen Kosten sozial-ökologischer Natur weder auf hinreichend breiter Front gewollt noch gekonnt sein können, geht produktive Zerstörung mit Sicherheit ins Auge. Würde versucht, Geld oder Rechtsgarantien einfach abzuschaffen, könnte die auf Keimform propagierte „Abschaffung der Arbeit“ unverhofft auf eine altgriechische Weise Realität werden: Das vom Geld-Verdienen befreite schöne Leben der Avantgarde baute auf bargeldloser Sklaverei auf.

Natürlich widerspräche eine solche Konsequenz unendlich mehr der Logik eines auf Commoning basierenden Füreinanders als eines, das auf „Lohnsklaverei“ beruht. Nur kümmert sich die Geschichte selten um Logik. Logisch kann staatliche Gewaltandrohung zwecks Zivilisierung antagonistischer Widersprüche in dem Masse „absterben“, wie sich frei assoziierende Menschen über die Entwicklung und Anwendung ihrer Produktivkräfte auf Grundlage von Übereinkommen entscheiden können, mit denen sie sich auf gemeinsame Ziele einigen, die zu erreichen sodann zur Herzensangelegenheit aller wird. Das heisst aber nicht, dass per Deklaration eines schönen neuen Lebens auf rechtsstaatliche Garantien verzichtet werden könnte. Nun hat womöglich niemand die Absicht, den Staat voreilig abzuschaffen. Man möchte seine begrenzte Kraft vielleicht nur auf die Entfaltung von Commons-Projekten konzentrieren, um deren Geist gegen den des Warensinns zu stärken. Das kann für Einzelne sinnvoll sein. Wird aber die Vorstellung einer überhistorischen sozialen Front zwischen Warenform und Commoning zu „der“ Transformationsstrategie erkoren, verdampft die dem historischen Materialismus eigene Dialektik gesellschaftlicher Kräfte zu einem Kampf zweier Logiken. Gemeineigentümliche Ausgrenzungslogik?

Für Stefan Meretz ist Eigentum unabhängig von seiner historisch vorherrschenden Form und Bedeutung „der Ausschluss der Verfügung Dritter über eine Sache”. Meretz: „Es geht nicht um die Schaffung von Gemein- oder Kollektiveigentum, das ist ein verbreiteter Irrtum der Linken, da dieses die Ausschlusslogik des Eigentum keineswegs antastet.” (keimform.de/2012/rezension-was-mehr-wird-wenn-wir-teilen/#comment-21555). Mietern einer Wohnung (eines Fahrzeuges oder von Arbeitskraft) wird aber keineswegs die Verfügungsgewalt über die von ihnen gemieteten Potenzen vorenthalten, obwohl sie nicht deren Eigentümer sind. Und gemeinsames Eigentum heisst nun einmal deshalb so, weil hier gemeinsam über die Vergabe des Rechtes entschieden werden kann, bestimmte Ressourcen zu nutzen.

Marx/Engels hatten noch klar zwischen historisch vorherrschenden Formen des Aneignungsvermögens bzw. Eigentums unterschieden. Ihre Vision war die Wiederherstellung des individuellen Eigentums in Gestalt der Möglichkeit, als ein gefragtes Subjekt an gemeinschaftlichen Entscheidungen über die Nutzung sozialer Ressourcen beteiligt zu sein (Karl Marx: Das Kapital, MEW 23, 791). Denn was ist Eigentum ausser das Recht bzw. Vermögen, (mit)bestimmen zu können, wofür und von wem eine Ressource genutzt werden kann? Die bürgerliche Eingrenzung dieses Vermögens bzw. Rechts heisst „Privateigentum“, was neben der Exklusivität der Möglichkeit, über die Nutzung einer Ressource zu entscheiden auch die Freiheit bedeutet, sich für die entsprechenden Entscheidungen nicht öffentlich rechtfertigen zu müssen.

Das gemeinsame Recht bzw. Vermögen, darüber (mit)zu entscheiden, wer über das Potenzial einer Ressource wie verfügen kann, ist bei näherer Betrachtung tatsächlich inklusiv und exklusiv zugleich. Abhängig davon, was das Gemeinsame bildet, umfasst und beeinflusst. Sind alle Teil der Gemeinsamkeit? Wer genau? Elinor Ostrom nennt als eine Erfolgsbedingung des Commoning, dass die Grundlagen und Grenzen der Beteiligung klar definiert sind. Über die historische Berechtigung, Vernunft usw. der Exklusivität gemeinsamen Eigentums gegenüber Dritten lassen sich sowieso kaum allgemein korrekte Aussagen machen. Die Vertretungen der indigenen Völker des Amazonasbeckens hatten lange für die Demarkation der von ihnen beanspruchten Gebiete gekämpft, also für das Recht, gemeinschaftlich darüber entscheiden zu können, wer es für welche Zwecke nutzen darf. Auf weltpolitischer Ebene sind sie inklusiver Teil des Klimabündnisses Europäischer Städte mit den indigenen Völkern des Amazonasbeckens. Beides markiert zivilisatorische Fortschritte. Meretz begründet seine Sicht mit der Notwendigkeit, zwischen Rechts- und Prozessform zu unterscheiden. „Eigentum ist die Rechtsform, die andere von der Verfügung über eine Sache ausschliesst. Besitz ist ein Prozess (eine Aktivität), der die aktuelle Verfügung über eine Sache fasst.” (a.a.O.). Die Unterscheidung zwischen Recht und sozialen Prozessen verläuft aber m.E. nicht zwischen Eigentum und Besitz. Die rechtliche Institutionalisierung der Fähigkeit, entscheiden zu können, zu welchen Bedingungen eine Ressource genutzt werden darf, hilft zwar, das entsprechende soziale Vermögen (= Eigentum als soziale Tatsache) herzustellen oder zu sichern. Die juristische Form ist aber keineswegs „das Eigentum“.

Das angebliche „Volkseigentum“ der DDR VEBs war eine juristisch-ideologische Fiktion. Doch besassen die Bürger keinerlei Möglichkeiten, tatsächlich zu gemeinsamen (wirklich vom Volk) getroffenen Entscheidungen über die Bedingungen der Entwicklung und des Einsatzes „ihrer“ Produktionsmittel beizutragen. Wie soll das gehen ohne das Recht und die Möglichkeit zur öffentlichen Stellungnahme? Ohne hinreichende Wissenschaftsfreiheit? Wenn allein die Veröffentlichung von Umweltdaten als Verbrechen gesehen und verfolgt wird?

Das Fehlen jeglichen Anflugs an herrschaftsfreiem Diskurs blockierte den Prozess einer Verallgemeinerung der Übernahme gesamtgesellschaftlicher Verantwortung, damit den Ausgang aus der unverschuldeten Unmündigkeit des lohnabhängigen Daseins. Also den sozialistischen Übergang in Richtung kommunistischer (Re-)Produktionsbeziehungen! Nicht, wie es im Keimform-Blog vielfach anklingt, weil Lohnabhängigkeit und Nötigung zum Kauf von Lebensmitteln nicht auf der Stelle abgeschafft worden waren.

Über die Verwendung der im eigenen Körper ausgebildeten Klasse lebendiger Produktionsmittel selbst entscheiden zu dürfen, bleibt eine Errungenschaft des Kapitalismus. Ein auf kommunistische Assoziationen freier Menschen aufbauendes Füreinander sollte nicht dahinter zurückfallen können. Auch nicht in ihrer späteren Phase einer postmonetären Vermittlung von Produktion, Konsum und ökologisch nachhaltig gutem Leben. Das heisst nicht, dass Kommunismus nur das bürgerliche Rechtsideal der allgemeinen Freiheit und Gleichheit mit sozialer Realität zu unterfüttern und damit zu verwirklichen hätte. Auch nicht, nun „die“ Bedürfnisse ins Zentrum zu stellen. Kommunismus kann sinnvollerweise nur auf die gesellschaftliche Ausbildung und Verallgemeinerung des individuellen Vermögens hinaus laufen, im Rahmen (welt-)gesellschaftlicher Abstimmungsprozesse mitentscheiden zu können, zu welchen Bedingungen die gemeinsam zu managenden Ressourcen (der Welt) genutzt und die Mittel ihrer Nutzbarmachung entwickelt und eingesetzt werden sollen. Dahin gehende Aneignungsprozesse bedeuteten sicher Entprivatisierung und Entnationalisierung der menschlichen (Re-)Produktionsbeziehungen, nicht aber Abschaffung sämtlicher Rechtsgarantien.

Achten wir einfach darauf, was die Aufhebung des von Marx/Engels konstatierten Widerspruchs zwischen dem (welt-) gesellschaftlichen Charakter der kapitalistischen Produktion und der privateigentümlichen Borniertheit kapitalistischer Aneignungsprozesse notwendig, möglich und nachhaltig (d.h. ökologisch verträglich und für alle) lebenswert bzw. schön macht. Was bringt die Widersprüche zwischen der Entwicklung menschlicher Produktivkräfte und den privateigentümlichen Formen ihrer Entwicklung und ihres Einsatzes zum Tanzen? Wie immer: Es müsste ein Tanz sein, bei dem sich grüne Reform und Commons nicht auf den Füssen stehen.

Hans-Hermann Hirschelmann
streifzuege.org