Zu den Romanen „Als ich im Sterben lag“ und „Griff in den Staub“ William Faulkner: Chronist der Südstaaten

Sachliteratur

Er war Chronist der dem wirtschaftlichen Verfall und der moralischen Stagnation überlassenen Südstaaten der USA, Quartalssäufer und weite Strecken seines Lebens lohnabhängig: William Faulkner (1897-1962) gehört definitiv zu den cooleren Kids, die sich in Schale geworfen haben, um vom schwedischen Monarchen eine Medaille mit dem Chemiker Alfred Nobel drauf umgeschlungen zu bekommen. 1950 wurde ihm der Pott verliehen, nachträglich für das Jahr 1949.

William Faulkner, 1954.
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William Faulkner, 1954. Foto: Carl van Vechten (PD)

13. Dezember 2014
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William Faulkner (eig. Falkner) wuchs in einer bürgerlichen Südstaatenfamilie mit historischem Schwergewicht auf: Offiziere, Romanciers, Helden des Bürgerkriegs, Bankiers und wer nicht alles. Selbst hatte er keinen Schulabschluss, später auch lange keinen Erfolg mit seinem Schreiben, und auch nachdem er sich damit Ansehen verschafft hatte, war er trotzdem lange Zeit auf Nebenverdienste angewiesen.

Beschissnes, kleines Leben

Die Legende besagt, dass er während einer dieser Jobs, als Sicherheitsmann an einer Hochschule, in nur sieben Wochen „As I Lay Dying“ („Als ich im Sterben lag“, nicht verwandt oder verschwägert mit der gleichnamigen Metalband) schrieb. 1930 veröffentlicht, zeigt der Roman starke Einflüsse des Konzepts des „Bewusstseinsstroms“, das in den 1920ern von Autor*innen wie James Joyce und Virginia Woolf in die europäische Literatur gebracht wurden.

Will Faulkners Streich bei der Sache? Er gab dem verarmten Landproletariat plötzlich ein der Mündigkeit fähiges, funktionierendes Bewusstsein mit all seinen Schattierungen, Krankheiten und Potenzialen. „Ulysses“ wurde unter sowjetischen und der Sowjetunion gegenüber positiv gesinnten Schriftsteller*innen bis weit in die Dreissiger Jahre und darüber hinaus diskutiert. Einer der Hauptkritikpunkte war, dass Joyce einen der soziopolitischen Realität entfremdeten Kleinbürger Bloom als Protagonisten gewählt hatte.

Bei Faulkner ist es die Arbeiter*innenfamilie Bundren, die die verstorbene Familienälteste Addie zur Bestattung in ihre Heimatstadt transportieren muss. Ein idealistischer Akt der Verzweiflung und brutalen Selbstausbeutung. Die Erzählperspektiven wechseln zwischen den einzelnen Familienmitgliedern. Da denkt sich der zweitälteste Sohn Darl: „Es braucht zwei Menschen, um einen einzigen zu zeugen, und nur einen, um zu sterben. So wird die Welt aussterben.“ Zum Thema Geburt kommt auch seine schwangere Schwester Dewey Dell: „Es ist als steckte alles in der Welt für mich in einem Kübel Eingeweide, dass man sich wundern muss, […]. Er ist ein grosser Kübel voll Eingeweide, und ich bin ein kleiner Kübel voll Eingeweide, und wenn es in einem grossen Kübel voll Eingeweide keinen Platz mehr hat für irgendwas anderes sehr Wichtiges, wie kann's dann Platz in einem kleinen Kübel voll Eingeweide geben.“

Alle müssen mitspielen

1948 erschien Faulkners zwölfter Roman, „Intruder in the Dust“. Das Setting sind wieder die schwach urbanisierten Südstaaten, Bewusstseinsströme sind in den Text eingeflochten und fliessen ineinander. Eher als Krimi konzipiert, handelt „Griff in den Staub“ vom Afroamerikaner Lucas Beauchamp, der zu Unrecht des Mordes bezichtigt wird und dem bereits in der ersten Nacht in Haft droht, von einem inzestuösen Redneck-Mob gelyncht zu werden: „Hier aber handelte es sich […] um den schmachvoll-gewaltsamen Tod eines Mannes, der nicht sterben sollte, weil er ein Mörder, sondern weil seine Haut schwarz war.“ Der alltägliche rassistische Wahnsinn, der einer elenden Gesellschaft zum ordnenden Moment gereicht, „[…] was nicht die Schändung einer Rasse, sondern eine Schande der Menschheit war.“

Dem Überbau aus Rassenideologie und Chauvinismus kann niemand entkommen, weder Beauchamp darf sich seine privaten Eitelkeiten erlauben, noch kommen selbst die ihm wohlgesinnten Weissen über ihre reaktionären Ansichten hinweg. Faulkner kritisierte mit „Intruder in the Dust“, dass der Sklavenbefreiung nur hohle Gesetze folgten, während im unaufgeklärten Hinterland weiterhin willkürlich Farbige unterdrückt und ermordet wurden. Währenddessen geriet die Wirtschaft, die auf der Ausbeutung der Nichtbesitzenden (der „freien“ weissen Arbeiter*innen und der als Sklav*innen vollkommen entmenschlichten schwarzen Bevölkerung) beruhte, der industriell weiterentwickelten Ökonomie im Norden gegenüber ins Hintertreffen – zu Lasten der unteren Klasse, die sich selbst in Schwache und Schwächste spalten liess.

Das, was Faulkner dem Juristen und Onkel der jugendlichen Hauptfigur Charles Mallison eingab, klingt heute noch wie Zukunftsmusik: „Eines Tages wird Lucas Beauchamp einen Weissen hinterrücks niederschiessen können, ohne sich der Bestrafung durch Lynchstrick oder Benzin mehr auszusetzen als ein Weisser […]“

Pat Batemensch / lcm

William Faulkner: Als ich im Sterben lag. Roman. Diogenes Verlag, 2012. 176 Seiten, 16 SFr, ISBN 978-3257200775