Klassiker, und solche, die es werden sollten (Teil 7) Thorsten Mense: Kritik des Nationalismus

Sachliteratur

Von autobiografischen Notizen italienischer Partisanen über literarische Arbeiten zur Arbeiterbewegung bis hin zu Gedichten aus dem Klassenkampf: In der Reihe "Klassiker und solche, die es werden sollten" werden in unregelmässigen Abständen Bücher vorgestellt, die in keiner Bibliothek fehlen sollten - aber auch solche, die bereits in vielen stehen und besser anderen Platz machen sollten.

Pegida Demonstration in Dresden, 13. April 2015.
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Pegida Demonstration in Dresden, 13. April 2015. Foto: Metropolico.org (CC BY-SA 2.0 cropped)

27. Juni 2016
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Nicht nur Bücher und Aufsätze können zu den Klassikern der Linken gezählt werden, sondern auch Debatten: Die Frauen- und die Wohnungsfrage zählen hier wohl genauso zu den altbekannten Klassikern wie dasStichwort Gerechtigkeit, welches im letzten Teil der „Klassiker“ Reihe besprochen wurde. Nun neu erschienen ist ein Beitrag zur Kritik des Nationalismus in der Theorie.org Reihe des Schmetterlings Verlag und damit geht die Debatte rund um den Nationalismus in die nächste Runde. Was hat Thorsten Mense beizutragen zur Kritik des Nationalismus?

Der Nationalismus „grenzt aus und trägt die Gewalt gegen jene, die nicht als Teil der Nation betrachtet werden, stets in sich. In seiner Form als nationale Identität schafft er eine falsche Einheit, überdeckt soziale Ungleichheiten und legitimiert auf diese Weise Herrschaft. Er vereint die Eigenen durch Bestimmung und Ablehnung der Anderen“ [69]

1.) Die erste Kritik an der Nation für Mense, bei dieser kleinen Zusammenfassung nicht zufällig als erstes genannt, ist die „Ausgrenzung“ von Menschen. Diese „Kritik“ der Nation trifft natürlich kein Spezifikum der Nation, sondern das Allgemeinste das man an einer Gruppe feststellen kann: Es gibt nicht nur die Gruppe, sondern auch andere. Diese Kritik der Nation und ihrer Anhänger kann also ebenso auf Kochgruppen, Bowlingclubs und die lokale Antifa angewendet werden: Alle sind nicht nur in- sondern auch exkludierend, kennen Aufnahmerituale und Ablehnungsgründe.

2.) Mense weiss aber nicht nur etwas über den Aus- sondern auch über den Einschluss des Nationalismus zu schreiben: Eine „falsche Einheit“ schaffe der Nationalismus, da er „soziale Ungleichheit“ überdecke und er „legitimiere auf diese Weise Herrschaft“. Seltsam nur, dass der Nationalismus sich doch zumeist als Beschwerde artikuliert und die soziale Ungleichheit überhaupt nicht „überdecken“ will sondern viel mehr anprangert: „Es kann nicht sein das ein deutscher Rentner weniger bekommt als ein Flüchtlingskind“ Wer das sagt, weiss um die soziale Ungleichheit, benennt sie und übersetzt sie in einen nationalen Skandal! Der Nationalismus ist eben eine falsche Erklärung der kapitalistischen Zumutungen und nicht deren Verharmlosung.

Wenn ein Nationalist im Konjunktiv darüber räsoniert, was alles eigentlich nicht zu seinem schönen Land passt – aber dann eben doch augenscheinlich ständig vorkommt – dann hat man es ganz offensichtlich mit einem Idealisten der Herrschaft zu tun: Der Nationalist ist einer, der sich von Deutschland alles verspricht und die mangelhafte Realität seines Proletendaseins nicht sein Ideal blamieren lässt sondern auf der Grundlage seiner guten Meinung über die Nation dann die richtige Herrschaft einfordert: Da muss ja einiges schiefgehen im Land, da müssen ja einige Politiker mindestens inkompetent wenn nicht gar Volksverräter sein!

Das ist aber etwas ganz anderes als Mensens Behauptung, der Nationalist „legitimiert auf diese Weise Herrschaft“ - denn der Patriot kann durchaus sehr kritisch bis revoltierend gegen seine Herrschaft auftreten. Wenn es im Land Niedriglohn und Kinderarmut, Wohnungsknappheit und Rentenkürzung gibt, dann vergisst der Nationalist diese „soziale Ungleichheit“ nicht einfach, sondern fordert Gerechtigkeit und sein Ideal der guten, weil wirklich nationalen Herrschaft ein und schafft so locker den Übergang zum Faschisten.

So falsch wie sein Begriff der Nation sieht dann auch seine Kritik des Nationalismus aus, die vor allem aus zwei Teilen bestehen soll: „Der erste Aspekt besteht in dem Verweis auf die soziale konstruierte Basis der Nation.“ [196] Hier verwechselt Mense den Mythos der Nation mit dem Grund des Nationalismus: Wenn Merkel erzählt, die deutsche Nation sei vor 2000 Jahren im Teuteborger Wald von Arminius geschaffen worden, dann ist das zwar Unsinn – aber auch nicht der Grund, warum die deutschen Bürger für Deutschland sind.

Die Nationalen Mythen sind nur die Bebilderungen eines Standpunktes, den der Bürger aus ganz anderen Kalkulationen eingenommen hat. So erklärt sich dann auch die Schwierigkeit die Mense dabei hat, mit dieser Art „Kritik“ Nationalisten zum Nachdenken zu bringen und Teil zwei seiner Kritik des Nationalismus ausmacht: „Zweitens muss sich eine Kritische Theorie des Nationalismus auf die Suche nach den Ursachen begeben, warum die nationale Denkform unbeeindruckt der Dekonstruktion ihrer Mythen und den globalen Transformationen zweier Jahrhunderte, insbesondere der Migration und der fortschreitenden Globalisierung, ungebrochen fortbesteht.“ [196]. Diese Frage kommt tatsächlich nur auf, wenn die Bebilderung des Nationalismus für sein Grund gehalten wird.

Berthold Beimler

Thorsten Mense: Kritik des Nationalismus. Schmetterling Verlag 2016. 214 Seiten, ca. 14.00 SFr ISBN: 978-3896576859