Drogen im Dritten Reich Norman Ohler: Der totale Rausch

Sachliteratur

12. März 2018

Der totale Rausch – dass bei den Nazis viel getrunken wurde (und auch bei den heutigen Unbelehrbaren immer noch wird) ist ja eigentlich nichts Neues, das der Würdigung durch ein Buch bedürfte.

Tablettenröhrchen Pervitin, 0,003 gramm l-phenyl-2-methylamino-propan pro Tablette (1939).
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Tablettenröhrchen Pervitin, 0,003 gramm l-phenyl-2-methylamino-propan pro Tablette (1939). Foto: Jan Wellen (CC BY-SA 3.0 unported)

12. März 2018
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Korrektur
Norman Ohler widmet sein Werk allerdings nicht dem alkoholbedingten Rausch, sondern vielmehr dem Rausch, der in der Zeit des Nationalsozialismus durch Psychostimulanzien verursacht wurde.

Hier betritt die Forschung zwar auch nicht unbedingt Neuland. Die Droge, die im Buch breiten Raum einnehmen wird – Pervitin – ist in aufgeklärten Kreisen als "Hitler-Speed" ja durchaus bekannt. Neu ist allerdings das Ausmass der Anwendung dieser (auf Methamphetamin basierenden) Droge, die in den dreissiger Jahren durchaus die Bezeichnung "Volksdroge" verdiente.

Heutzutage ist Methamphetamin besser bekannt als Crystal Meth und Gegenstand der populären TV-Serie "Breaking Bad". Ähnlich spannend wie die TV-Serie ist auch Ohlers Buch aufgebaut. Der/die Leser_in ist schnell von der blütenreichen Sprache gefesselt. Das Buch verbirgt nicht, dass es ursprünglich als Roman konzipiert wurde. Erst auf Anregung des Lektors hatte Norman Ohler das ursprüngliche Konzept umgeworfen und ein Sachbuch verfasst.

Der Autor recherchierte fünf Jahre lang, unter anderem im Freiburger Militärarchiv und im Koblenzer Bundesarchiv, er forschte auch in den USA und hatte Zugang zu zahlreichem Originalmaterial, das der Wissenschaft bislang entgangen war. Er konnte durchaus auch Irrtümer berichtigen, die auf der falschen Deutung der Aufzeichnungen von Hitlers Leibarzt Theodor Morell durch die amerikanischen Behörden fussten (z.B.S.189f). Die Geschichte muss deshalb nicht neu geschrieben werden, aber der Historiker Hans Mommsen merkt dazu in seinem Nachwort an, dieses Buch ändere doch das Gesamtbild.

Ohler legt den Antagonismus sehr gut dar: zwischen der offiziellen Antidrogenpolitik des Regimes und der Nutzung der Droge als Aufputschmittel für die Truppe, das den Blitzkrieg und die damit einhergehenden Erfolge in der Anfangszeit des Zweiten Weltkrieges mit ermöglichte. Ob allerdings, wie Ohler beispielsweise auf Seite 137 behauptet, die Droge eine Rolle bei der allmählichen Selbstauflösung des nationalsozialistischen Staates spielte, vermag ich auch nach der Lektüre des Buches nicht zu beurteilen.

Ohlers Methode lässt sich so charakterisieren: viele Thesen aufstellen und diese mit Textstellen aus den Tagebüchern derjenigen Hitler-Getreuen belegen, die ihn ständig umgaben, z.B. Goebbels oder Morell. Die Kernthesen, die dabei immer durchscheinen, lauten: Ohne Drogen hätte es einen anderen Kriegsverlauf gegeben und Hitlers teils einsame Entscheidungen waren massgeblich auf dessen hohen Drogenkonsum zurückzuführen. Ob diese Thesen einer wissenschaftlichen Überprüfung wirklich standhalten, müsste erst untersucht werden, denn in der Literatur ist dieser Aspekt bislang vernachlässigt worden.

Es gereicht Ohler zur Ehre, überhaupt auf das Thema aufmerksam gemacht zu haben. Dem Autor gelang es zudem, ein spannendes Sachbuch zu schreiben, das sich in seinem lockeren Schreibstil wohltuend von manch knochentrockenem Fachbuch unterscheidet. Abseits der eigentlichen Thematik vermittelt es denjenigen Leser_innen, die sich noch nicht so intensiv mit dem Nationalsozialismus und dem Verlauf des Zweiten Weltkriegs auseinandergesetzt haben, durchaus auch eine Menge Geschichtswissen. Insbesondere die Rolle des Leibarztes Theodor Morell und die Diadochenkämpfe an der Spitze des NS-Staats werden sehr gut herausgearbeitet. Problematisch finde ich manche Stellen, an denen Ohler Situationen so schildert, als wäre er selbst dabei gewesen.

Hier merkt man dem Werk wieder an, dass es als Roman konzipiert war. Der Lesbarkeit tut Ohler damit einen Gefallen, dem wissenschaftlichen Anspruch aber nicht. Hinzuzufügen ist, dass Norman Ohler im letzten Kapitel des Buches betont, dass Hitler nicht nur ein Getriebener seiner Drogensucht bzw. unzurechnungsfähig war. Seine Persönlichkeit sei von den Drogen nicht verändert worden – diese hätten ihm aber dabei geholfen, die Wirklichkeit, von der er umgeben war, verändert wahrzunehmen. Vielleicht nimmt auch manche_r Leser_in nach der Lektüre dieses Buches die dunkelste Zeit Deutschlands ein wenig anders wahr als zuvor...

aida-archiv.de

Norman Ohler: Der totale Rausch. Kiepenheuer & Witsch 2015. 368 Seiten, ca. SFr 24.00 ISBN 978-3-462-04733-2

Dieser Artikel steht unter einer Creative Commons (CC BY-NC-ND 3.0) Lizenz.