Markus Liske / Manja Präkels: Vorsicht Volk! Die Renaissance des „Volkes“

Sachliteratur

Die „Neue Rechte“ versucht, den Begriff „Volk“ wieder positiv zu besetzen. Der Sammelband erklärt, warum er genau das nicht ist.

Open Air Fotoausstellung „Wir sind das Volk“, Berlin, September 2009.
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Open Air Fotoausstellung „Wir sind das Volk“, Berlin, September 2009. Foto: Stefan Fussan (CC BY 3.0 unported - colored - cropped)

4. September 2017
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Im Herbst 2015 rammte Frank Steffen der damaligen Kölner Oberbürgermeister*in-Kandidatin Henriette Reker in Mordabsicht ein Messer in den Hals. Vor Gericht gab er als Begründung für die Tat an: „Diese Regierung will das eigene Volk austauschen“. Der Staatsrechtler Thor von Waldenstein erstellte für das „Institut für Staatspolitik“, einer Kaderschmiede der Neuen Rechten, ein Gutachten über das „Widerstandsrecht der Deutschen“. In diesem behauptet er, die Bundesregierung nehme die „Beseitigung des Souveräns des deutschen Volkes“ nicht nur fahrlässig hin, sondern strebe diese bewusst an. Martin Sellner, Kopf der österreichischen Identitären Bewegung, veröffentlichte in der neurechten Zeitschrift „Sezession“, einen Artikel mit dem Titel „Volk – Aufgabe statt Konstrukt“. In diesem schwadronierte er, kulturrassistisch par excellence, über eine Stärkung der Identität des deutschen „Volkes“. Alle diese Akteur*innen der „Neuen Rechten“ sorgen sich um das „Wohl des deutschen Volkes“.

Da drängen sich Fragen auf: Was hat es mit der Erzählung des bedrohten „Volkes“ auf sich? Wieso beziehen sich alle rechten Akteure darauf? Ein Verdacht steht im Raum: Ist das Konzept des „Volkes“, vielleicht per se exklusiv und rassistisch aufgeladen? Antworten auf alle diese Fragen und mehr liefert der Sammelband „Vorsicht Volk!“, herausgegeben von Markus Liske und Manja Präkels.

Das Buch bietet 24 sehr unterschiedliche Aufsätze von fast ebenso vielen Autor*innen. Unter ihnen Journalist*innen wie Patrick Gensing, Titanic­Kolumnist Stefan Gärtner oder der momentan in der Türkei inhaftierte Deniz Yücel. Politiker*innen wie Jutta Ditfurth oder Klaus Lederer aber auch verschiedene Aktivist*innen aus diversen linken Zusammenhängen sind vertreten. Teils wissenschaftlich, dokumentarisch aber auch satirisch und essayistisch, nähern sie sich dem Begriff „Volk“ und all den Bewegungen, die 2015 Hochkonjunktur hatten. Pegida, Montagsmahnwachen, der Alternative für Deutschland (AfD), Reichsbürger*innen und dem „Compact Magazin“ und so weiter. Sie alle teilen die „neurechte Ideologie“ und ganz besonders die Fokussierung auf das „Wohl des deutschen Volkes“.

Der Band weist eine grosse Themenvielfalt auf. Von der Analyse jener Themen, die in den sozialen Netzwerken kursieren („Lügenpresse“, Verschwörungsmythen, Wutbürger*innen und Forentrolle – so werden im Netzjargon Personen genannt, die Diskussionen nur stören oder unnötig emotional anheizen wollen), über Untersuchungen des lokalen Milieus, in welchem die „Gidas“ (Pegida, Legida, Bergida, Thürgida...) und die Alternative für Deutschland gross wurden, bis hin zu Berichten über die unterschiedlichsten rechten Bewegungen. Von der Neuen Rechten zu CDU, Verfassungsschutz und Polizei – und zurück

Den Anfang macht Patrick Gensing mit einem informativen Beitrag über die Bedeutung rechter Online-Netzwerke und esoterischer Kleinverlage für den Erfolg von Pegida und der AfD. Erhellend und erschreckend zugleich sind die Beiträge im zweiten Teil: „Im Sachsen­Spiegel“. Untersucht wird das lokale rechte Milieu in Sachsen und speziell der Landesmetropole Dresden. Auf ironische Art und Weise arbeitet zum Beispiel Kerstin Köditz in ihrem Beitrag „Wir sind die Mauer! Das Volk muss weg“ die kaum zu glaubenden Verbandelungen zwischen CDU, Verfassungsschutz, Polizei und rechtem Rand auf:

„Der Vorsitzende des Landestourismusverbandes – ist selbstverständlich Mitglied der stärksten Parteien. Der Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz (Gordian Meyer­Plath) ... nun, wir wissen es nicht so genau. Wir wissen allerdings, dass er aus der Abteilung Verfassungsschutz im brandenburgischem Innenministerium als persönlicher Mitarbeiter zu einer CDU­Bundestagsabgeordneten wechselte. Und von dort wieder zurück zum Verfassungsschutz, und plötzlich gar als Präsident des Amtes in Brandenburg im Gespräch war. Inzwischen ist er es in Sachsen. Und wir wissen, dass er „Alter Herr“ einer Burschenschaft ist, der Marchia Bonn. Familientradition sozusagen. Ist es nötig zu erwähnen, dass – im Gegensatz zu anderen Bundesländern – keine Burschenschaft in Sachsen von den Schlapphüten beobachtet wird“ (S. 62)?

Der dritte Teil „Völkisches, Allzuvölkisches“ beleuchtet einige Spielarten der rechen Bewegung näher: rechte Siedler*innen, die es sich mitten im Nirgendwo zum Ziel gesetzt haben, ökologisch nachhaltige Landwirtschaft zu betreiben, um so das deutsche „Volk“ zu retten. Christliche Abtreibungsgegner*innen, die ein Problem damit haben, dass Frauen alleine über ihren Körper entscheiden wollen. Der Text von Jan Rathje ist angesichts der vielen Straftaten, die in letzter Zeit von Reichsbürgern begangenen wurden, hervorzuheben. Dieser spezifiziert die skurril anmutende Reichsbürgerideologie als „im Wesentlichen eine Verschwörungsideologie mit deutscher Spezifik: die Ideologie von der ,antideutschen Weltverschwörung'“ (S. 93). Antideutsch in dem Sinne, dass sich der imaginierte Feind durch sein Handeln gegen das deutsche „Volk“ auszeichnet.

Auf die Spezifität des deutschen Begriffes „Volk" geht der recht flapsig geschriebene Text von Alexander Karschina „Volxfuck 1994­2014“ ein:

„Das ist der Hauptunterschied zwischen Deutsch und Englisch: Während people immer sowohl das Volk als auch die Leute meint, ist es in Deutschland immer nur das Volk. Eben nicht die Leut' – peoples, wie man fröhlich auf Neudeutsch sagt –, sondern ein homogenes, um nicht zu sagen homogenetisches Ganzes. Etwas Übergeordnetes, dem man sich volklich unterordnen muss, etwas, das mehr sein soll als die Summe seiner Teile, etwas Quasi­Sakrales, eine Art Kirche oder nationale Gemeinde – das VOLK GOTTES, allerdings eines ‚sterblichen Gottes': eines Staates“ (S. 74, Herv. i. O.).

Im fünften Teil „Geflüchtete zu Vertriebenen“ erläutert Julia Schramm in dem Beitrag „Critical Deutschness“ die Besonderheit des deutschen Nationalbegriffs:

„Dieser fusst auf einem ethnisch­kulturellen Verständnis als einer Art Schicksalsgemeinschaft, in der die Nation die Grundlage für den Staat bildet. Konkret bedeutet das, dass eine Willensbekundung niemals ausreichen kann, um Teil der Kulturnation zu werden. Vielmehr entscheiden Blut und Boden, also Abstammung darüber“ (S. 155).

Festzuhalten ist, dass sich schon in der Konzeption des Begriffes „Volk“ der Grund zeigt, warum mit dem „Volk“ niemals alle Menschen gemeint sein können, es also per se exklusiv gegenüber sogenannten Nicht­Biodeutschen ist. Betrachtet man die gar nicht mal so neue „Neuen Rechte“, kommt man um die Auseinandersetzung mit der spezifisch deutschen Volkskonzeption wohl nicht herum. Verdienst des Sammelbandes ist es, die Lesenden in einfachen kurzen Aufsätzen auf diese aufmerksam zu machen. Insgesamt lässt sich sagen, dass die grosse Bandbreite an Themen Stärke und Schwäche zugleich ist. Die Leser*innen bekommen einen guten Überblick über die vielen Facetten der sogenannten „Neuen Rechten“.

Manchmal wünscht man sich als Leser*in etwas mehr Stringenz und analytische Schärfe, was wohl der Kürze vieler Texte geschuldet ist. Empfehlenswert ist das Buch allemal, liefert es doch einen guten Einblick in ein schwieriges Thema und ist darüber hinaus auch noch leicht zu lesen. Es finden sich viele gute Hinweise, wieso völkisches beziehungsweise nationalistisches und autoritäres Denken in einigen politischen Richtungen an Einfluss gewinnen kann. Um diese rückwärtsgewandten Tendenzen, auf „linker“ wie auf rechter Seite, ernst zu nehmen und zu analysieren, liefert das Buch einen wichtigen Debattenbeitrag. Auf „linker“ Seite sind hier zum Beispiel die meist antisemitische Kritik an Israel, die Bewunderung des „starken Mannes“ Putin und vor allem das Phänomen der Querfront zu nennen. Die stilistische und inhaltliche Diversität macht Spass und regt zum Nachdenken und dringend notwendigem Nachforschen an.

Cordula Trunk
kritisch-lesen.de

Markus Liske / Manja Präkels (Hg.): Vorsicht Volk! Oder: Bewegungen im Wahn. Verbrecher Verlag, Berlin 2015. 192 Seiten, ca. SFr 19.00 ISBN 9783957321213

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