Chantal Mouffe: Für einen linken Populismus Gretchenfrage an das Volk

Sachliteratur

Kurz vor dem ersten Wahlgang der französischen Präsidentschaftswahl 2017 erklärte der Soziologe Erik Fassin in Richtung des aufstrebenden linkspopulistischen Kandidaten Jean-Luc Mélenchon, es gebe zwei verschiedene Arten von Cholesterin – eine gute und eine schlechte. Einen guten Populismus für die Linke gebe es allerdings nicht.

Der französische Politiker Jean-Luc Mélenchon in Brest, Februar 2017.
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Der französische Politiker Jean-Luc Mélenchon in Brest, Februar 2017. Foto: Kergourlay (CC BY-SA 4.0 cropped)

13. Dezember 2018
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Die belgische Theoretikerin Chantal Mouffe möchte dieser Wahrnehmung entgegenwirken und argumentiert in ihrer kürzlich erschienenen Streitschrift, dass eine linke, populistische Politik als legitime demokratische Alternative denkbar ist. Damit kritisiert sie die dominante Auffassung von Populismus als eine gefährliche und irrationale Art Politik zu machen, bei der mit Hilfe von Rhetorik die Menschen gezielt manipuliert werden.

Für Mouffe war Politik im Gegenteil schon immer vage und unpräzise, allem voran dort, wo Akteur*innen komplizierte Sachverhalte vereinfacht darstellen und ihre Lösungen als die einzig legitimen und rationalen präsentieren. Somit soll Populismus nicht als Negation von Politik und demokratischen, pluralistischen Werten aufgefasst werden, sondern als politische Logik, die zu jeder Zeit vorhanden ist. Demnach ist jede Politik populistisch, weil das soziale Feld immer in „Insider“ und „Outsider“ geteilt wird, wie wir gleich sehen werden. Doch davor müssen wir uns kurz den Gegebenheiten widmen, die Mouffes Populismus-Argument genau jetzt wieder auf die politische Tagesordnung der Linken setzen.

Mouffe nennt dies den „populistischen Moment“: Darin wird in der Folge der Finanzkrise von 2008 das neoliberale Wirtschaftsmodell zunehmend von linken und rechten Kräften infrage gestellt. Zudem befinden wir uns in einem Zustand der Post-Demokratie, in welchem ein übergreifender Konsens der traditionellen Parteien den Wähler*innen echte Alternativen verwehrt und Politik auf das Abwechseln von Mitte-Links- und Mitte-Rechts-Regierungen reduziert wird. Als Resultat wird jedwede Bewegung, die diesen Konsens kritisiert, unabhängig von ihrer politischen Orientierung als populistisch und als Gefahr für die Demokratie diskreditiert. Es bleibt die fast schon sprichwörtliche Alternativlosigkeit der gegenwärtigen Situation.

Weil Politik immer mit Slogans arbeitet

Mouffes Ziel ist daher nicht, ein populistisches Regime zu errichten, oder an strategisch wichtigen Punkten „populistisch” zu handeln, sondern Populismus als legitime Art und Weise Politik zu machen zu etablieren. Was können wir uns darunter vorstellen?

Zentral in ihrem Populismusverständnis ist die diskursive Konstruktion einer politischen Grenze, die das soziale Feld in zwei Gruppen unterteilt: auf der einen Seite ein „Wir“, das sich als „Volk“, die „Unterdrückten“, oder die „99 Prozent“ versteht und auf der anderen Seite ein „Sie“, etwa die „Elite“, „Unterdrücker“ und „das eine Prozent“. Diese Konstruktion steht im fundamentalen Widerspruch zur aktuell dominanten, liberalen Auffassung von Politik, wonach durch substantiellen Dialog alle Interessen widerspruchslos und rational vereint werden können. Des Weiteren gehört dazu die Anerkennung, dass Politik konflikthaft ist und die Art und Weise, wie die Grenze gezogen wird, niemals neutral ist.

Rechte Parteien haben sehr viel früher diese politische Notwendigkeit verstanden, während die Parteien der Mitte noch die Konfliktlosigkeit von Politik zelebrieren und die Herausforderung rechter Parteien als illegitim und widersprüchlich abgestempelt haben. Den Rechtspopulisten gelang es, eine diskursive Konstruktion der Grenze salonfähig zu machen, die auf der Unterscheidung zwischen einem „Wir“ – dem wahren, homogenen Volk, verantwortungsbewussten Politikern sowie ehrlichen Medien – und einem nicht dazugehörigem „Sie“ aus Migrant*innen, Gutmenschen, unehrlichen Politiker*innen und irreführenden Medien besteht.

Der einzige Weg, den Erfolg rechter Populist*innen zu stoppen, besteht daher notwendigerweise aus einer Politik, die es schafft, die verschiedensten Forderungen, die in der Gesellschaft existieren, zusammenzufassen und auf demokratische Weise Ausdruck zu verleihen. Mouffe möchte demnach dem exklusiven, xenophoben und anti-demokratischen „Wir“, das von rechtspopulistischen Parteien konstruiert wird, ein inklusives „Wir“ gegenüberstellen, das die Vielfalt der Forderungen und Einigkeit gegen einen gemeinsamen Gegner anerkennt. Dies gelang zum Beispiel der Kampagne von Mélenchon, der den Frust von Wähler*innen, die vormals Migrant*innen für ihre prekäre Situation verantwortlich machten, auf andere Gegner und in einem anderen Vokabular kanalisierte.

Und was ist jetzt mit Corbyn?

Dennoch gibt es in Mouffes Pamphlet einige Schwächen beziehungsweise Unstimmigkeiten. In einer der interessantesten Passagen des Buches argumentiert sie für eine Überwindung der traditionellen Unterscheidung in „linke“ und „rechte“ Politik. Dies ist besonders bedeutsam, da sie an anderen Stellen in ihrem Werk als Ziel angab, diese Unterscheidung wiederzubeleben und zu verstärken (Mouffe 2007). Heutzutage sei dies nicht mehr erstrebenswert, aufgrund der weiten Bandbreite von Forderungen, die ein erfolgreiches, progressives, populistisches Projekt vereinen müsse. Dies ist ein bedeutsamer Gedanke, mit potenziell weitreichenden Folgen für die politische Praxis, doch leider führt sie ihn nicht weiter aus.

Im Gegenteil hinterlässt sie den Eindruck, dass sie selbst noch zu sehr in dem polaren Weltbild steckt, wenn sie an verschiedenen Stellen im Buch einen durch und durch „rechten“ Populismus einem durch und durch „linken“ Populismus gegenüberstellt. So vermutet sie zum Beispiel, dass in den nächsten Jahren „die zentrale Achse des politischen Konflikts zwischen linkem- und rechtem Populismus sein wird“ (S. 6).

Eine ähnliche Verwirrung findet statt, wenn sie ihren kompletten Vertrauensverlust in traditionelle linke und sozialdemokratische Parteien offenlegt, was auch im krassen Gegensatz zu ihren vorherigen Ausführungen steht, insbesondere ihrem vielleicht bekanntesten Werk „Hegemonie und radikale Demokratie“ (2000), das sie mit Ernesto Laclau verfasste. Nichtsdestotrotz lobt sie dann aber mehrmals Jeremy Corbyns Labour Party und gibt den Mitgliederaufschwung, den er hervorgebracht hat, als Beispiel an, dass die Parteiform nicht an Kraft verloren hat. Daher bringt ihre Abhandlung nur bedingt Licht in das Dunkel im Hinblick der Frage, wie das populistische Moment auf progressive Weise genutzt werden kann.

Mouffes Werk scheint geleitet von Fragen des „Warum“ und des „Was“. Zum „Wie“ aber schweigt sie meist. In den meisten Fällen mag das legitim sein, aber warum wählt sie dieses Format von 93 Seiten, wenn sie die theoretische Diskussion nicht weiterbringt und zu den brennenden Fragen der Zeit schweigt? Was sind die Gefahren und Möglichkeiten für die populistische Linke, etwa Corbyn oder die spanische Podemos, in der – nahen bis mittelfristigen oder auch langfristigen – Zukunft? Was können wir von den Fehlern von Syriza lernen? Das sind die wichtigsten Fragen, insbesondere wenn sich die politische Linke noch nicht wirklich gewappnet zeigt, den Kampf gegen die populistische Rechte aufzunehmen und schlussendlich zu gewinnen. Das Fundament ist gelegt, doch die praktischen Fragen bleiben unbeantwortet.

Julius Schneider
kritisch-lesen.de

Chantal Mouffe: Für einen linken Populismus. Suhrkamp, Berlin 2018. 111 Seiten. ca. SFr. 19.00. ISBN: 978-3-518-12729-2

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