Peter Stamm: »Die sanfte Gleichgültigkeit der Welt« Das Dilemma einer ganzen Existenz

Belletristik

Neuer Roman, bekannte Narrative: In »Die sanfte Gleichgültigkeit der Welt« greift der Schweizer Erfolgsautor Peter Stamm auf die alt-romantische Figur des Doppelgängers zurück und trifft dabei – zumindest sprachlich – den richtigen Ton.

Peter Stamm - salon du livre Genève 2012.
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Peter Stamm - salon du livre Genève 2012. Foto: Ludovic Péron (CC BY-SA 3.0 unported - cropped)

14. August 2018
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Korrektur
Durch Zufall begegnet der in die Jahre gekommene Schriftsteller Christopher seinem (vermeintlichen) jüngeren Doppelgänger, der, so scheint es, sein eigenes Leben bis auf wenige Abweichungen nachlebt. Besessen von dieser Vorstellung, beginnt er ihm nachzustellen, folgt ihm durch Strassen, durch die er selbst als junger Mann gegangen ist, und in Lokale, in denen auch er, Jahre vorher, gesessen hatte. Die Duplizität der Lebensläufe nimmt ihren Höhepunkt, als Christopher in Lena, der Freundin seines jüngeren Ichs, seine frühere Geliebte Magdalena wiederzuerkennen glaubt.

Alte Gefühle wallen auf und mit ihnen die Erinnerung an das Scheitern seiner grossen Liebe, die quälende Ungewissheit, wann und wie sich das eigene Leben derart von den grossen Träumen, den hehren Zielen und Ambitionen der Jugend hatte entfernen können.

Grobmaschig kreist der Roman von hier an um die existenziellen Fragen des Lebens: nach der Bedeutung von Glück, nach der Vereinbarkeit von Liebe und Freiheit, den beiden übergrossen Leitmotiven unserer Zeit, danach, wer wir (geworden) sind und, fast noch wichtiger, wer wir hätten sein können. Eine Biographie im Konjunktiv, gefangen in einer Endlosschleife ohne erkennbaren Anfang und ohne Ende.

Man mag dieses Verwirrspiel um das reichlich angestaubte Doppelgänger-Motiv mögen oder auch nicht, in dem Wahrheit und Fiktion, Wunsch und Wirklichkeit kaum zu unterscheiden sind, all die Verästelungen und doppelten Böden, die Irr- und Umwege, die mühsame Konstruktion der Handlung, von der der Roman leider nicht immer freizusprechen ist. Über jeden Zweifel erhaben aber ist dieses besondere Timbre, der lakonisch-nüchterne, aber niemals kalte, niemals abweisende Klang, in dem Peter Stamm schreibt.

Stamms Sprache ist präzise und dabei so zurückgenommen, so reduziert, dass sie förmlich hinter das Gesagte zurücktritt. Was übrig bleibt, ist reine, abstrahierte Geschichte und es ist eine wahre Kunst und dem Roman hoch anzurechnen, dass es ihm auf diese Weise gelingt, von der Liebe zu sprechen ganz ohne Pathos, ohne adjektivistische Überladung und ohne den üblichen Kitsch. Allein deshalb, allein dieser unprätentiösen, unaufdringlichen Sprache wegen ist man gewillt, über die Schwächen der Handlung hinwegzusehen. Oder anders formuliert: Was soll's, dass der Stoff nicht übermässig originell ist, wenn die Sprache, aus der er besteht, in der Lage ist, einen vollkommen für sich zu vereinnahmen.

Denn wenn Peter Stamm in einem simplen Satz wie »Irgendwann musste uns das Glück abhandengekommen sein, ich wusste nicht, wie und warum es geschehen war« mit nur wenigen Worten das Dilemma einer ganzen Existenz auf den Punkt bringt, dann ist das schlicht und einfach gut gemachte Literatur.

Leo Eberhardt

Peter Stamm: Die sanfte Gleichgültigkeit der Welt. S. Fischer Verlag, Berlin 2018. 160 Seiten. ca. 30.00 SFr. ISBN 978-3-10-397259-7