Heinz Strunk: Das Teemännchen Besserung ist nicht in Sicht

Belletristik

Anders als die Bestseller »Der goldene Handschuh« und »Jürgen« ist »Das Teemännchen« kein Roman, sondern eine Sammlung von Kurzgeschichten. Und die haben es in sich.

Heinz Strunk auf der Leipziger Buchmesse 2016.
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Heinz Strunk auf der Leipziger Buchmesse 2016. Foto: Heike Huslage-Koch (CC BY-SA 4.0 cropped)

28. September 2018
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Wenn von den »armen« und den »ganz armen Willis« die Rede ist, von »Kaputtniks«, von »Kartoffeltypen« und »Typen mit ledernen Schlachterherzen«, wenn Menschen nicht einfach dick, sondern »spezialgrössendick« oder »McDonald's-dick« sind, wenn »gut durchblutet« zu sein bereits als sexy gilt und alle Aussicht auf ein besseres Leben in einer verspeckten Imbissbude auf dem Hamburger Berg endet, dann kann dies alles nur eines bedeuten: Heinz Strunk hat ein neues Buch geschrieben.

In der Vergangenheit durften Strunk-Fans darauf vertrauen, turnusmässig im Abstand von ein bis zwei Jahren mit einer neuen literarischen Publikation beglückt zu werden. An dieses ungeschriebene Gesetz hat man sich auch diesmal gehalten, allerdings überrascht der Erfolgsautor mit ungewohntem Genre: Anders als die Bestseller »Der goldene Handschuh« (2016) und »Jürgen« (2017) ist »Das Teemännchen« kein Roman, sondern eine Sammlung von Kurzgeschichten. Und die haben es in sich. Die neue Form erlaubt kein langes Rumgeplänkel, sie zwingt dazu, unmittelbar in die Handlung einzutauchen. Was dabei herauskommt, ist Heinz Strunk at his best, ein Sperrfeuer an bitterböser, zynisch pointierter Depressions-Romantik.

Da wäre etwa »das adipöse Pärchen«, dessen einziger Lebenssinn es ist, Münzen in Spielautomaten trostloser Autobahnraststätten zu versenken, und von dem es in Strunk-Manier heisst: »Alles, was einem zu ihnen einfällt, stimmt wahrscheinlich: Stotterschritt, Restharn, entzündetes Nierenbecken, Schliessmuskellähmung.« Eine Zustandsbeschreibung wie ein Schlag in die Fettleber, von der sich die beiden Schwergewichte nicht wieder erholen werden.

Auch sonst wagt sich Heinz Strunk wieder einmal dahin, wo es wehtut, zu den verkrachten Existenzen, Menschen, »die ihren Lebenshöhepunkt nie erreicht haben« und nun »herumkäfern« auf dem Seitenstreifen des Lebens, »wie in einem vergessenen Krieg, bei dem weder Ausbruch noch Front noch Gegner zu ermitteln sind«. Kurz: Elend, wohin das Auge blickt.

Ob der verbitterte Mittfünfziger Mike – Typ »Brunnenvergifter« –, der seine Mitmenschen durch gezieltes, quälend langsames Autofahren in den Wahnsinn treibt, die einsame Bloggerin, deren einziger Freund ein Kater ist, der auf den Namen »Al Katzone« hört, oder »Sexbombe« Anja, die in bereits besagter Hamburger Imbissbude jobbt und dabei alles frittiert, was ihr zwischen die Finger gerät, bis sie selbst aufgedunsen und verfettet ist wie eine XXL-Currywurst – für sie alle gilt: »Es laufen einfach zu viele Dinge gleichzeitig schief«. Und das Schlimmste: Besserung ist nicht in Sicht. »Nichts ist in Sicht. Etwas Grundsätzliches ist verschwunden, das Leben fällt auseinander.« Happyend ausgeschlossen.

Wie kein anderer deutscher Autor schöpft Strunk aus einem endlos scheinenden Fundus an schrägen Charakteren und Wortkreationen. Das eigentliche Kunststück aber besteht darin, nicht mit Hochmut oder Gehässigkeit auf die Gescheiterten herabzublicken. »Das Teemännchen« ist keine Abrechnung, es ist eine Ode an die Vergeblichkeit. Niemand sonst lässt seine Figuren auf bösartigere und zugleich liebevollere Weise an sich selbst und der Gesellschaft verzagen. War »Der goldene Handschuh« so etwas wie Strunks Gesellenstück auf diesem Gebiet, dann ist dies zweifelsohne sein Meisterwerk.

Leo Eberhardt

Heinz Strunk: Das Teemännchen. Rowohlt Buchverlag, Berlin 2018. 208 Seiten, ca. 24.00 SFr, ISBN 978-3498064495