Minderjährige Obdachlose in Berlin Interview mit einem Strassenjungen

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Eines Tages brachte B. einen Jungen mit in die Redaktion, der sich als Trolli vorstellte. Er hatte ihn am Bahnhof Eberswald Strasse beim Schnorren aufgelesen. Trolli behauptete, 13 Jahre alt zu sein - wir schätzen ihn, dem Aussehen nach, auf maximal zehn.

Interview mit einem Strassenjungen.
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Interview mit einem Strassenjungen. Foto: Infrogmation of New Orleans (CC BY 2.0 cropped)

14. Juni 1998
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Während er etwas ass und nachdem er uns das Versprechen abgenommen hatte, ihm einen Fahrkarte zurück in seine Heimatstadt Halle zu organisieren, kam er mit Jacqueline und B. ins Gespräch. Hier Auszüge daraus:

Zeitdruck: Wie kamst Du auf die Idee, nach Berlin zu kommen?
Trolli: Ich wollte mal was erleben. Erstmal war ich in Dresden, und dann bin ich nach Berlin gefahren.

Und Deine Eltern?
Wohnen in Halle. Aber da werde ich jedesmal verhaun. Irgendwann gehe ich auch wieder nach Hause.

Was passiert, wenn Du da hinkommst?
Ach, Prügel erstmal... eine Woche oder so. Und dann fängt's wieder an, wie's vorher war.
Vor zwei Jahren bin ich schon mal flüchtig gewesen, da hat mein Vater eine Glasscheibe in der Tür gehabt, die hat ich eingeschmissen. Bin dann mit ein paar Freunden abgehauen.

Wie lange warst Du da unterwegs?
Dreizehn Wochen. Da gab es dann auch 'ne Grossfahndung, weil ich bewaffnet war.

Dieses Schuljahr wirst Du ja auf jeden Fall wiederholen müssen?
Ja, nicht nur dieses Jahr. Ich muss halt irgendwie durchhalten.

Kannst Du mit dem Ärger zu Hause überhaupt regelmässig in die Schule gehen?
Aus den Problemen mit meinen Eltern muss ich eben lernen...

Wie willst Du denn damit klarkommen?
Wenn er mich schlägt, dann schlage ich zurück.

Ja, gut - bloss - Herkules bist Du ja nun grad nicht.
(lacht)

Du sagst, Deine Eltern trinken?
Ja. Also, wenn die um viere von der Arbeit kommen, denn fangen sie an. Bringt meine Mutter immer Goldbrand mit, und denn fangen sie an. Und wenn mein Vater Ärger mit meiner Mutter hat, also wenn irgendwie Streit ist, krieg ich immer die ganze Scheisse ab. Schimpfen, Schlagen. Das kommt drauf an, wieviel sie getrunken haben. Und was für'n Ärger anliegt. Deshalb bin ich auch abgehauen.

Du haust dann immer gleich ab?
Nee, ich warte erstmal ab. Also ich verzieh mich erstmal in mein Zimmer und schliess ab. Ich weiss ja auch immer nicht, wie mein Vater drauf ist, dass er vielleicht hinterherkommt und die Tür auftritt.

Hat er da schon mal gemacht?
Ja, wo er Wut hatte. In der Schule war viel Scheiss, da hatte ich nen Feuerlöscher geklaut. Dann hab ich nen Brief gekriegt an meine Eltern. Da ist mein Vater dann ausgerastet - da hatte ich nur ne Glasscheibe in der Tür. Die hat er durchgetreten.

Hast Du Dir schon mal überlegt, was anderes zu tun ausser weglaufen?
Alkohol auskippen. Von meinen Eltern den Alkohol auskippen.

Denkst Du, das hat Sinn?
Eigentlich kann ich meine Eltern leiden. Aber nicht wenn sie trinken. Probleme kann man nicht durch Alkohol wegdrängen.

Was für'ne Arbeit möchtest Du mal machen?
In Radebeul da ist was. Der hat da gesagt, dass er mich auf jeden Fall nimmt.

Was wäre das?
Schlosser! Ich könnte da mithelfen und so.

Aber vorher müsstest Du schon in die Schule?
Nee, ich schaff's eh nur bis zur achten Klasse. Zweimal bin ich schon sitzengeblieben.

Weil Du so oft gefehlt hast, oder weil Du keine Lust auf Schule hast?
Ich hab keine Lust. Nur Hools und Faschos. Ist nicht grad bequem, jeden Tag dahin zu gehen.

Also, Herti ist Dein bevorzugter Schnorrplatz?
Ja, Herti, der erste und der zweite Ausgang. Man kann den ganzen Tag vor Herti sitzen  - kein Problem.

Bekommst Du auch die üblichen Sprüche zu hören?
Ja. So: Geh in die Schule, geh "heeme". Gestern hat mir auch einer gesagt, dass ich doch arbeiten gehen soll. Der hat nicht mal überlegt, dass ich nicht etwas jung bin. Von den meisten kriege ich dann eben das Geld.

Du könntest jetzt eigentlich vom Schnorren leben?
Ja.

Hast Du überhaupt keine Angst, dass Dich die Polizei schnappt?
Ich bin schneller, als die Polizei erlaubt.
Interview mit einem Strassenjungen



Trolli, minderjährig, nichtsesshaft

aus: ZEITDRUCK, Ausgabe 1/95,

Sucht und Sehnsucht

ub